Interview: Catherine Corsini über »In den besten Händen«

»In den besten Händen« (2021). © Alamode Film

»In den besten Händen« (2021). © Alamode Film

Madame Corsini, in »La belle saison – Eine Sommerliebe« (2015), dem letzten Film von Ihnen, der in den deutschen Kinos zu sehen war, erzählten Sie vom Beginn einer Liebesgeschichte zweier junger Frauen in turbulenten Zeiten, jetzt erzählen Sie von einer Krise in der Liebesbeziehung zweier älterer Frauen in anderen, jetzigen turbulenten Zeiten. Steht das für Sie in einem Zusammenhang?

»La belle saison« erzählte von jungen Menschen, hier bin ich jetzt woanders angekommen mit zwei Protagonistinnen, die über fünfzig Jahre alt sind. In beiden Fällen sind es sehr turbulente Beziehungen. Der große Unterschied ist der, dass die Handlung in »La belle saison« sich über ein Jahr erstreckt, während sie hier auf eine einzige Nacht verknappt ist. Der größte Unterschied ist, dass in »La belle saison« die Homosexualität und die Unmöglichkeit dieser Liebe das zentrale Thema ist, während es in dem neuen Film gar nicht darum geht, es könnte ebenso gut ein heterosexuelles Paar sein.

Für mich war eine Stärke des Films die Balance zwischen dem Paar und dem, was sich sonst in dieser Nacht in der Notaufnahme entwickelt. War das von Anfang an Ihr Konzept? Oder gingen Sie von den beiden Frauen an einem bestimmten Punkt ihres Lebens aus – oder aber von der Situation in einer Notaufnahme?

Ich wollte einen Film über soziales Engagement machen und mich in dem Film genauso engagieren: meinen Blick auf Frankreich und die ganze Welt in einem bestimmten Moment, nämlich dem 1. Dezember 2018, werfen. Mein Ausgangspunkt war eigentlich, dass diese Hauptfigur mir ähneln sollte, dass sie etwas Essentielles von mir hat, so wie bei Nanni Moretti, der sich selbst in Szene setzt, dass man über ihn lachen kann und gleichzeitig etwas über die Gesellschaft erfährt. Tatsächlich hatte ich schon beim Schreiben im Sinn, dass ich beide Aspekte miteinander verbinden wollte, das Intime und das Politische, das Große und das Kleine. Ich habe dabei auch an italienische Komödien und an Charlie Chaplin gedacht. Ich wollte diese Figur so darstellen, dass sie auch etwas Absurdes und Anachronistisches besitzt, damit man das Dramatische, das in dem Film thematisiert wird, auch ein bisschen überzogen sieht. Gerade bei den Dreharbeiten und durch die Tatsache, dass ich auch mit Pflegekräften zusammengearbeitet habe, die ich auch viel befragt habe, hat im Lauf des Films die Situation im Krankenhaus immer mehr Raum bekommen. Begonnen habe ich mit den beiden Frauen, aber der andere Aspekt wurde immer größer und stärker.

Haben Sie die endgültige Form dafür erst im Schnitt gefunden? Gab es Sequenzen, die Sie herausgenommen haben, weil sie das Gleichgewicht verschoben?

Das Drehbuch war sehr präzise – derjenige, der später die Mischung gemacht hat, sagte mir, er hätte schon beim Lesen das Gefühl gehabt, auch der Ton sei schon komplett. Es gibt eine einzige Sequenz, die um drei, vier Szenen verschoben wurde: das ist die, in der die Demonstranten in das Krankenhaus hineingelassen werden. Sonst ist alles so genau, wie es im Drehbuch stand. Was dann beim Schnitt passiert ist und was wirklich viel Arbeit war, war das Reduzieren, dass immer klarer herauskristallisiert wird, was das für einen Rhythmus hat, was das für eine Dichte bekommen soll.

Beim Ansehen des Films hat es bei mir ziemlich lange gedauert, bis ich für die Figur der Raphaela Sympathie aufbringen konnte. Ich weiß nicht, ob das an mir liegt oder ob das von Ihnen vielleicht auch so beabsichtigt war. Haben Sie je befürchtet, dass das kippen könnte, dass das Publikum diese Figur ablehnt? 

Das ist eine Figur, die keinen Filter hat, es ist eine exzessive Figur, eine, die nicht ganz aufrichtig ist in ihren Beziehungen. Natürlich ist es irritierend, aber das war auf jeden Fall so gewollt. Das ist eine Figur, die mir selber sehr nah und sehr ähnlich ist. Als ich sie mit Valeria Bruni Tedeschi besetzte, wusste ich, dass die noch ihre eigene Verrücktheit, ihr eigenes Schillern zwischen liebenswert und abstoßend, mit hineinbringen würde.

Sieht man vom Anfang ab, spielt der Film komplett an einem einzigen, ziemlich beengten Schauplatz. Das ist eine Herausforderung. Gab es umgekehrt auch Vorteile dabei?

Das war das erste Mal, dass ich diese Situation in einem Film hatte. Die größte Herausforderung war, dem Leben einzuhauchen – wenn man an einem Ort filmt, wo die Menschen warten, der eine auf einer Trage liegt, die andere im Rollstuhl sitzt. Es ging darum, Energie herzustellen, diese Brüche, dass der Film insgesamt energetisch wird. Deshalb war ganz wichtig, was außerhalb des Bildes passiert, etwa der Sohn, der immer wieder für Neuigkeiten sorgt, oder dass man weiß, was gerade vor den Türen passiert oder hinter dem Rücken von jemandem – alle diese Dinge, die man nicht direkt sieht, die aber Spannung erzeugen. Ich habe mir dafür zur Vorbereitung auch andere Filme angesehen, die an einem einzigen Schauplatz spielen (etwa von John Carpenter) und habe dabei gemerkt, dass viel außerhalb des Bildes stattfindet, was Spannung erzeugt.

Mussten Sie diese Spannung jedes Mal neu herstellen, indem Sie 'Action!' riefen? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es sofort still ist an diesem Ort, wenn Sie 'Cut!' sagten. 

Ich bin beim Dreh wie ein Trainer im Boxring, schreie viel herum und versuche, Brüche zu erzeugen, Szenen noch mal anders anzufangen, damit die Energie die ganze Zeit erhalten bleibt. Diese Kakophonie ist auch etwas, was ich gesucht habe, ich habe sehr lange Sequenzen gedreht, damit die Leute sich auch gegenseitig ein bisschen hineinsteigern können in das, was dort passiert, sie durften sich unterbrechen, sie konnten weiterspielen, auch wenn nicht klar war, wo die Szene abgebrochen wird.

Wie haben Sie denn überhaupt mit den Laiendarstellern gearbeitet? Gab es da präzise Vorgaben, auch dialogmäßig, oder nur eine Vorgabe, in welche Richtung etwas gehen sollte? 

Die hatten sich so schnell integriert in das System und die anderen Darsteller hatten auch das Gefühl, dass sie eigentlich mit Professionellen zusammenarbeiten, weil sie durch ihr Fachwissen ein großes Selbstbewusstsein hatten und eigentlich die Kompetentesten waren. Aissatou Diallo Sagna, die Krankenschwester, hat sehr schnell ihren Text gelernt, eigentlich gibt es keine Improvisation. Die Szene, wo sie den Gips anlegt und der Figur der Raf erzählt, dass sie eigentlich kündigen will, weil es ihr zu viel wird und was in dem System nicht stimmt – das hat sie von sich aus erzählt. 

Hat sie inzwischen gekündigt, macht sie etwas anderes?

Nein, sie hat drei Kinder und arbeitet weiter. Sie hat große Lust mit der Schauspielerei weiterzumachen und hat schließlich sogar einen 'César' als beste Nebendarstellerin bekommen.

Wir müssen auch über die 'Gelbwesten' reden. Wir sehen, wie bei ihrer Demonstration ein Auto umgeworfen wird, aber genauso die Gewalt der Polizei. Yann wird bei seiner Einlieferung ja auch gleich mit der Auffassung konfrontiert, dass die Gelbwesten alle potenzielle Le Pen-Wähler sind. Hat sich da über die Jahre etwas verschoben?

Es ist eher so, dass die Bewegung zu Beginn von der extremen Rechten vereinnahmt wurde, dass die aber, nachdem immer mehr Leute dazukamen, auch mit unterschiedlichen Ansichten, sich eher zurückgezogen haben, weil sie merkten, das ist eine gesellschaftliche Bewegung, die kein Interesse an unseren Positionen hat. Die Gelbwesten haben sich aber auch dagegen gesperrt, sich von einer Partei oder einer politischen Richtung vereinnahmen zu lassen. Sie sind schon stark zu einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung angewachsen. Im Fernsehen wurde hauptsächlich die Gewalt der Gelbwesten gezeigt, die Leute haben auch tatsächlich Angst vor ihnen gehabt, das wurde geschürt. Darüber wurde vernachlässigt, dass es andere, friedliche Demonstrationen gab und Treffen, bei denen Leute etwas kreiert haben. 

Wir sehen im Film, wie Krankenhausmitarbeiter die Personalien von Demonstranten aufnehmen, das ist vermutlich keine Erfindung. Sind sie dazu von offizieller Seite verpflichtet?

Das ist ein bisschen komplexer. Als ich das Pflegepersonal gecastet habe, haben einige von ihnen gesagt, das hätten sie erlebt, andere, davon hätten sie noch nie etwas gehört. Tatsächlich ist das eine Anweisung, die nach den Attentaten in Paris erlassen wurde, damit man die Opfer wiederfinden konnte, wenn Leute von der Straße aufgelesen wurden – es hat also einen etwas größeren Zusammenhang. 

Der Film war in der Arbeitsweise in vielem neu für Sie. Wird das Auswirkungen auf Ihre künftige Arbeit haben? 

Das hängt ganz stark vom Thema ab, aber Tatsache ist, dass diese Mischung aus Fiktivem und dem, was da an Realität hereinschwappt, so eine große Wahrhaftigkeit vermittelt, dass es mir schwerfallen wird, das nicht weiter zu erkunden. 

Eine letzte Frage, zurück zum Anfang. Sie haben gesagt, dass die Figur der Raf auch viel mit Ihnen zu tun hat. Trifft das auch auf eine der Figuren in »La belle saison« zu?

Das wäre dann, wenn auch nicht ganz so offensichtlich, das Mädchen vom Land – das ist näher an meiner Realität. Dort, wo wir gedreht haben, sind auch meine Wurzeln, dort kommen meine Großeltern her.

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