68. Kurzfilmtage Oberhausen

Zwei in eins
Eröffnungsfilm: »Zigeuner in Duisburg«

Eröffnungsfilm: »Zigeuner in Duisburg«

Nach den durch Corona bedingten Onlineausgaben 2021 und 2022 kehrten die 68. Kurzfilmtage von Oberhausen wieder ins Kino zurück – allerdings hybrid, mit zwei vorgezogenen Netzwettbewerben

Rainer Komers Dokumentarfilm »Zigeuner in Duisburg« erzählt in großer visueller, atmosphärischer und emotionaler Dichte in 16-mm-Schwarz-Weiß von der Vertreibung einer Sinti-Familie von zwei Wohnplätzen der Stadt. Er war 1980 aber auch einer der ersten Filme in Deutschland, der die Verfolgung der Minoritäten in der Nazizeit thematisiert und zwei ältere Frauen der Familie ausführlich von den traumatisierenden Erlebnissen der letzten Jahrzehnte erzählen lässt. Dass der Film nun – mit einem persönlichen Auftritt von Nachfahren der Familie – bei der Eröffnung der diesjährigen Oberhausener Kurzfilmtage gezeigt wurde, darf auch als Signal der Festivalleitung in Sachen Menschenrechte nicht nur an die Landesregierung in NRW verstanden werden. Zusätzlich war Komers Film auch Teil einer Retrospektive, mit der das Festival das frühe politisch engagierte, mehrheitlich auf das Ruhrgebiet fokussierte Werk des 1944 geborenen und weltweit geehrten Mülheimer Filmemachers und gelernten Siebdruckers Rainer Komers zeigte. 

Schon recht früh während der zwei letzten sehr erfolgreich online präsentierten Ausgaben hatte sich Festivalleiter Lars Henrik Gass überzeugt gezeigt, wegen der breiteren Zugangsmöglichkeiten zum Festival auch nach Lockerung der Corona-Maßnahmen zumindest einige Sektionen des Festivals digital zu präsentieren. So gab es bei der diesjährigen 68. Ausgabe Anfang Mai zeitlich gestaffelt zwei unterschiedliche deutsche und internationale Wettbewerbe – den ersten online, den zweiten in den ehrwürdigen Sälen des Lichtburg-Kinos in der Oberhausener Innenstadt. Dazu kamen (vor allem offline) Wettbewerbe für NRW, Kinder, Jugendliche und Musikvideos – und nicht zuletzt ein umfangreiches, nicht kompetitives Programm, das neben Personalwerkschauen (neben Komers Morgan Fi­sher, Sohrab Hura, Shalimar Preuss, Sylvia Schedelbauer und Eszter Szabó), Archive, Verleihe, Labs und Liveperformances präsentierte und mehrere spannende Themenprogramme anbot.

So unter anderem die Sektion »re-selected«, die den begrüßenswerten institutionellen Trend zur Beschäftigung mit der eigenen Geschichte auch jenseits von Jubiläumszwecken für die Kurzfilmtage mit Leben füllt. Seit 2018 befragt hier Kurator Tobias Hering das nicht nur mit Filmen gut gefüllte festivaleigene Archiv auf frühere Auswahlentscheidungen. Dieses Jahr fiel der Blick auf das Jahr 1993, als das Festival gemeinsam mit dem Goethe-Institut unter dem Titel »Konfrontation der Kulturen« den Ansatz einer »Dekonstruktion westlicher weißer Perspektiven« unternahm, dabei aber schwarze Regiepositionen aus Deutschland übersah. Dies wurde nun von Kuratorin Karina Griffith nachgeholt, die als Korrektur zu drei vor allem weibliche Befindlichkeiten beschwörenden anglophonen Filmen aus dem damaligen Programm mit Raoul Pecks »Leugt« (1983) und dem fünf Jahre später entstandenen »A Lover & Killer of Colour« von Wanjiru Kinyanjui zwei sehr kämpferische Arbeiten ehemaliger Studierender der Berliner DFFB vorstellte.

Hier schließt sich perfekt ein von Annett Busch und Marie-Hèlène Gutberlet kuratiertes Themenprogramm an, das unter dem an ein Album von King Sunny Adé angelehnten Titel »Synchronize!« das afrikanische Kino unter dem Aspekt der Netzwerke untersuchte und feierte. Dabei schlugen die Kuratorinnen mit Unterstützung vieler Gäste einen großen Bogen vom 1969 gegründetenFestival FESPACO in Ouagadougou über junge afrikanische Filmemacherinnen bis zu der autobiografisch geprägten Online-Miniserie Polyglot der Berliner Filmemacherin Amelia Umuhire aus der Diaspora.

Die höchstdotierten Preise (von insgesamt über zwei Dutzend Auszeichnungen) der Offlinewettbewerbe gingen für den deutschen Wettbewerb an Alexandra Gulea, die in »Flying Sheep« vielschichtig collagierend und im elegischen Ton die (eigene) Geschichte der balkanischen Minorität der Aromunen heraufbeschwört. Gleich zwei wichtige Ehrungen des internationalen Wettbewerbs erhielt »Weathering Heights« der schwedischen Regisseurin Hannah Wiker Wikström für eine eindringliche Übung in der Erzeugung diffusen wäldlich-familiären Horrors.

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