Socially Relevant Film Festival New York

Politisch träumen
»Shattered: Beirut 6:07« (2021)

»Shattered: Beirut 6:07« (2021)

Informativ, bewegend, engagiert: Das Socially Relevant Film Festival New York widerlegt den Satz, der besagt, dass Botschaften nicht ins Kino, sondern in die Post gehören

Während viele europäische Filmfestivals politisch engagierten FilmemacherInnen regelmäßig eine große Bühne bieten, sind die prominenten US-amerikanischen Festivals nicht primär für soziales Engagement bekannt. Daher erklärt sich vielleicht der auf den ersten Blick etwas plakative Name des Socially Relevant Film Festivals New York, das seit sechs Jahren explizit politische Filme aus der ganzen Welt in die Ostküsten-Metropole holt. In seiner aktuellen Inkarnation musste das von der armenischen Schauspielerin Nora Armani ins Leben gerufene Filmfest wie so viele Veranstaltungen in den digitalen Raum ausweichen. Das tat der Vielfalt des kurz SRFF genannten Festivals allerdings keinen Abbruch, lud es in seiner ersten Online-Ausgabe doch zu zahlreichen faszinierenden Screenings und Gesprächsrunden ein.

Dass sich hinter dem Label »sozial relevant« eine Vielzahl aktueller Themen verbergen kann, machten die Kuratoren bereits mit der Strukturierung des Programms deutlich: Die Filme ebenso wie die zahlreichen Workshops und Diskussionsrunden sind hier in Kategorien wie »Klima und Nachhaltigkeit«, »LGBTQ Stories« und viele weitere gegliedert. Mit der neuen Sparte »COVID Shorts« berücksichtigte das Festival zudem das Thema, das zurzeit alle anderen beeinflusst. Die hier gezeigten Kurzfilme machten allerdings deutlich, dass die filmische Verarbeitung der Pandemie vermutlich erst mit etwas mehr Abstand gelingen wird: Über mal amüsante, mal nachdenkliche Homemovies gingen die Beiträge in diesem Programmstrang kaum hinaus.

Auf echte Perlen stößt man hingegen im reichhaltigen Doku-Programm. Ein erstes, verstörendes Highlight ist der Kurzfilm »Shattered: Beirut 6:07«, der Amateuraufnahmen zu einer beklemmenden Nachzeichnung der libanesischen Explosionskatastrophe aus dem letzten Jahr verdichtet. Der Film verknüpft diese Impressionen der Zerstörung mit den dramatischen politischen Entwicklungen der letzten Jahre: Begleitet werden die Bilder nämlich von Interviews, die Regisseurin Carol Mansour mit anonymen Betroffenen geführt hat und in denen sich die ohnmächtige Wut auf die Nachlässigkeit der Regierung Bahn bricht. »Shattered« stand auch im Mittelpunkt des Talks »Focus on Lebanon«, in dem Mansour und andere libanesische Filmemacher die oft deprimierende Lage im Land, speziell für Künstler, diskutierten. 

Zwei Dokus zum Thema »Musik als Protestform« gehörten zu den gelungensten der dokumentarischen Beiträge. Der mittellange Film »Out Loud« folgt den SängerInnen des (vermutlich) ersten Chors für Transpersonen, der von der Chorleiterin Lindsey Deaton in Los Angeles ins Leben gerufen wurde. Während sich die Chormitglieder auf ihr erstes öffentliches Konzert vorbereiten, porträtiert der Film einzelne Charaktere und wirft auch einen erhellenden Blick auf die besonderen Herausforderungen, mit denen sich einige der MusikerInnen konfrontiert sehen: Die Transitionsphase beeinflusst schließlich auch ihr Instrument, die Stimme, erheblich. »Acts of Resistance« von Nelson Varas-Díaz wiederum porträtiert drei lateinamerikanische Heavy-Metal-Bands, die ihren extremen Sound auf verschiedene Weise für progressive Zwecke einsetzen. In stylischem Schwarz-Weiß zeigt der Film etwa, wie Mitglieder der guatemaltekischen Band The Infernal Circle Schulkindern in verarmten, ländlichen Gegenden helfen: Vor ihren Konzerten fordern sie das Publikum zur Spende von Heften und anderen Materialien auf. Die großartige Doku dürfte auch hierzulande bei Metalheads auf Zustimmung treffen.

Im Spielfilmbereich wurden die Beiträge »Dustwun«, ein intensiver Blick auf das US-amerikanische Grenzland sowie »Angie: Lost Girls« von der Jury ausgezeichnet. Letzterer widmete sich dem heiklen Thema Menschenhandel mit leider allzu abgeschmackten ­Klischees. Die französisch-armenische Koproduktion »Should the Wind Drop« hingegen überzeugte im explizit politischen ­Kontext dieses Festivals mehr noch als bei ­ihrer Weltpremiere in Cannes. Nora Martirosyans Film folgt einem technischen Prüfer in eine kleine autarke Republik im Kaukasus, wo er die Gegebenheiten des örtlichen Flughafens abnehmen soll. Mit seinen spektakulären Landschaftsbildern und der schwelenden interkulturellen Spannung erinnert der Film an Valeska Grisebachs »Western«. Zudem schien Martirosyans Regiedebüt, das von der großen Hoffnung eines kleinen Landes erzählt, wie gemacht für das diesjährige, einem afrikanischen Sprichwort entlehnten Motto dieses kleinen, feinen Festivals: »Träumen wir allein, ist es nur ein Traum; träumen wir gemeinsam, ist es Realität.«

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