Interview mit Julie Delpy über ihren Film »Lolo – Drei ist einer zu viel«

Eine Komödie mit dunklen Zügen – Die französische Regisseurin und Schauspielerin Julie Delpy über ihren neuen Film
»Lolo - Drei ist einer zuviel« (2015)

»Lolo - Drei ist einer zuviel« (2015)

Kinder, die das Elternhaus nicht verlassen wollen, obwohl sie selber schon erwachsen sind, sind kein neues Thema. Haben Sie Sich für ihren Film Anregungen im Freundeskreis geholt? Sind Sie durch einen Magazinartikel darauf gestoßen?

Es gab nicht nur eine Quelle, die mich inspirierte, sondern viele Dinge. Es ist auch nicht so, dass er das Elternhaus nicht verlassen will, denn wenn seine Muter nicht da ist, ist er auch nicht zu Hause. Es ging mir vorrangig um die soziopathischen Aspekte, das Besitzergreifende – er will seine Mutter ganz für sich alleine haben, sie mit niemandem teilen. Es ist also schon mehr als nur ein Kind, das nicht das Haus verlassen will. Er ist ein Narzisst, er denkt nur an sich selbst.

Das ist also eine ziemlich düstere Geschichte, auch wenn sie als Komödie daherkommt. Wie schwer war es für sie, Drama und Komik auszubalancieren?

Wir haben im Schneideraum zunächst einige Momente seines Lächelns herausgenommen, durch die er jedes Mal, wenn einer seiner machiavellistischen Pläne aufgegangen war, dies mit Befriedigung vermerkte. Das schien uns zu düster. Dann haben wir sie jedoch wieder eingefügt, denn seine Selbstsicherheit betonte eher die Komik. Einige Zuschauer erleben den Film als sehr düster, ich selber sehe eine Komödie mit dunklen Zügen. Was er letztendlich macht, ist vollkommen kindisch, etwa die Sache mit dem Juckpulver, die an Kinderstreiche vergangener Zeiten erinnert und eher zu einem Sechsjährigen als zu einem Zwanzigjährigen passt. Wenn er selber sagt, es gäbe kein Alter für Juckpulver, dann gibt er damit gewissermaßen zu, dass er unreif ist. Wäre er erwachsen, würde er zu diesem fremden Mann sagen, »Verschwinde aus dem Leben meiner Mutter!« Stattdessen greift er zu all diesen kleinen, machiavellistischen Tricks – was es natürlich auch wieder komisch macht.

Vincent Lacoste, der den Sohn spielt, hat erwähnt, dass sie ihm geraten haben, George Cukors »Das Haus der Lady Alquist« anzusehen.

Das stimmt, Charles Boyer liefert in dem Film die für mich beste Verkörperung eines Soziopathen.

War es schwer, ein passendes Ende für diese Geschichte zu finden, ihn zu bestrafen, aber doch nicht zu hart? Die Mutter muss ja auch zugeben, dass ihre eigenen Fehler sein Verhalten begünstigt haben.

Ich wollte eine große Trennungsszene, die sollte so sein, als wenn sich ein Paar trennen würde. Und dann hat der Zuschauer den Eindruck, sie fällt erneut auf seine Tricks herein – aber das tut sie nicht, sie verlässt ihn wirklich. Nun kann er endlich erwachsen werden, nun muss er herausfinden, wie er selber Eier kocht! Endlich trennt sie die Nabelschnur durch. Denn oft gehören zwei dazu, um solch eine verfahrene Situation herzustellen.

Die Dialoge zwischen Ihnen und Karin Viard sind ziemlich offenherzig, was die Sexualität anbelangt. Hatten Sie je Probleme damit, dass Zuschauer sagen würden, deshalb können sie ihre Eltern nicht in den Film schicken?

Sie sind ohne Zweifel offenherzig, aber sie zeigen auch den Charakter dieser beiden Frauen, die ihren Spaß haben. Für sie ist Liebe nichts Heiliges mehr. Die Figur von Karin schert sich nicht um politische Korrektheit, sie gibt unumwunden zu, dass sie ihre Tochter hasst. Sie spricht aus, was viele fühlen, aber sich nicht trauen auszusprechen.

Nicht nur in diesem Film haben Sie mit Dany Boon einen Ko-Star, der ebenfalls inszeniert hat, das war auch schon der Fall bei Chris Rock und »Zwei Tage in New York«. Sprechen Sie mit denen darüber, sind Sie interessiert, wie die mit der Doppelrolle vor und hinter der Kamera umgehen?

Ich mag Menschen, die viele Fähigkeiten haben, Schauspieler, die Regie führen und Regisseure, die spielen. Für meinen neuen Film wollte ich gerne Alfonso Cuaron haben, das hat leider nicht geklappt. Spielen und Inszenieren befruchten sich gegenseitig. Viele große Regisseure sind gute Schauspieler – Sydney Pollack, Woody Allen, Orson Welles.

Gehen Sie bei Filmen, in denen Sie spielen, denn auch ans Set, wenn sie keine Szene haben, einfach um zu sehen, wie ein anderer Regisseur bestimmte Probleme löst?

Jetzt nicht mehr, aber früher habe ich den Dialog mit bestimmten Regisseuren gesucht, etwa mit Kieslowski, nachdem ich in »Drei Farben: Weiß« gespielt hatte. Er wollte damals seine Karriere als aktiver Filmemacher beenden und war deshalb sehr interessiert daran, seine Erfahrungen weiterzugeben, hat zahlreiche Kurse gegeben. Er meinte, der Schlüssel zum Erfolg sei, sich selber treu zu bleiben. Mein Problem ist, dass ich eine Seite habe, die komisch ist, und eine andere, die extrem düster ist. Bis jetzt habe ich überwiegend die komische gezeigt, in meinem nächsten Film hoffe ich, die dunkle zu zeigen.

Dann war »Die Gräfin«, in dem Sie die historische Figur der blutsaugenden Gräfin Elisabeth Bathory verkörperten, ein entsprechend wichtiger Film für Sie?

Ja, mein Vater meint, das sei mein autobiographischster Film! Zumindest hat er nicht vollkommen unrecht, denn die Frage der eigenen Sterblichkeit hat mich schon immer bewegt. Ich sehe in mir auch das Potenzial, Menschen zu töten – von dem ich übrigens glaube, dass jeder Mensch es in sich hat, aber nicht jeder ist sich dessen bewusst.

... zur Kritik (Start 17.3.)

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