Der schwedische Regisseur und Autor Ruben Östlund über seinen neuen Film »Höhere Gewalt«

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Ruben Östlund

Ruben Östlund im Gespräch mit unserem Autor Frank Arnold

Herr Östlund, in den letzten Jahren gab es mehrere Fälle, wo Kapitäne ihre Schiffe vor den Passagieren verließen: bei dem Kreuzfahrtschiff ‚Costa Concordia’, bei einer südkoreanischen Fähre. Ihr Film legt nahe, dass wir uns alle ähnlich verhalten würden?

Die "Costa Concordia"-Vorfall hat mich in gewisser Weise inspiriert. Ich habe mir daraufhin Statistiken angesehen. Es gibt den Mythos der „Titanic“, dass Kinder zuerst in die Rettungsboote kamen. Statistiken belegen das Gegenteil: die größten Überlebenschancen haben Mitglieder der Besatzung, haben Männer. Also, die Erwartung dass der Mann heldenhaft handelt, wird enttäuscht – er ist vielmehr derjenige, dessen Handeln am ehesten instinktgeleitet ist. Der Kapitän der südkoreanischen Fähre ließ die Schüler an Bord im Stich, aber als er an Land war, beging er Selbstmord, so sehr schämte er sich. Wenn wir den Erwartungen unserer Umwelt nicht gerecht werden können, löst das große Identitätskrisen aus.

Mit der Figur von Tomas’ Freund Mats gibt es eine Figur im Film, die dessen Verhalten zu erklären versucht, ähnlich wie Sie es eben gemacht haben. Ist das eine sinnvolle Erklärung, nur eine mögliche unter mehreren oder aber ist das vielleicht ironisch gemeint?

Nein, keineswegs. Seine Anteilnahme ist genuin. Der Film zeigt ein Dilemma auf, für das es keine einfachen Antworten gibt. Es gibt nun einmal all diese Erwartungen in Beziehungen, und auch wenn es hier kein wirkliches Unglück gibt, sind die doch belastend. Vielleicht müssen wir erst einmal akzeptieren, dass wir menschlich sind und Fehler machen können.

Ebba, die Ehefrau, ist eher geneigt, ihrem Mann sein Verhalten zu verzeihen – sie hätte auch mit den Kindern abreisen oder ihn aus dem gemeinsamen Zimmer aussperren können. Mehr Probleme als sein Verhalten im Moment der Lawine bereitet ihr die Tatsache, dass er hinterher seinen Fehler nicht zugeben will. Wie sehr haben Sie bei der Zeichnung dieser Figur überlegt, ob es für die Zuschauer leichter oder schwieriger sein sollte, sich mit ihr zu identifizieren?

Ebbas Verhalten hat in der Tat ganz unterschiedliche Reaktionen beim Publikum hervorgerufen: in den USA, wo der Film in New York und Los Angeles gezeigt wurde, hielt man mir vor, dass Ebba Tomas betrügen würde, als sie von dem Vorfall anderen Menschen erzählt. Sie fanden ihr Verhalten unnötig hart. Ich selber habe versucht, mich mit Ebba zu identifizieren: was hätte ich an ihrer Stelle in dieser Situation getan? Auch darauf gibt es keine einfache Antwort. Wäre sie mit den Kindern abgereist, hätte sie diese in den Konflikt mit hineingezogen.

Wie schwer war es für den Darsteller des Tomas, den emotionalen Zusammenbruch der Figur zu spielen - wo er in Tränen ausbricht und sich auf dem Fußboden zusammenkrümmt?
 
Das war eine der ersten Fragen, die ich mit dem Schauspieler Johannes Bah Kuhnke besprach, so dass er von Anfang an darauf vorbereitet war, in dieser Szene ein Verhalten zu zeigen, dass gemeinhin als ‚unmännlich’ gilt. Die Art, wie er weint, generiert keine Sympathie für ihn, wir sind es überhaupt nicht gewöhnt, Männer im Kino weinen zu sehen. Der Zuschauer sollte sich fragen: was macht Tomas in diesem Moment? Will er unsere Sympathie erheischen? Der Dreh dieser Szene zog sich über mehrere Tage hin, ich drehte jeden Tag aus einem anderen Kamerawinkel. Schließlich forderte ich Johannes auf, seinen Emotionen völlig freien Lauf zu lassen. Davon haben wir dann zehn Takes gedreht, mit einem Countdown. Beim letzten Take hatten wir das Maximum erreicht.

Es gibt eine nächtliche Szene, wo eine Gruppe von Männern, nur mit Unterhosen bekleidet, sich brüllend im Schnee wälzt und Bier trinkt – ein verbreitetes Ritual in skandinavischen Ländern?

Das ist in Skiressorts weit verbreitet Ich habe dort ziemlich viel Zeit verbracht und gerade Gruppen jüngerer Männer beobachtet: sie sind Gefangene ihrer Erwartungen, ihres Testosteronpegels; das ist eine Kultur, wie man sie sonst am ehesten vom Spring Break in den USA her kennt.

Haben Sie, als Sie den Film mit Publikum sahen, die Erfahrung gemacht, dass Männer im Publikum diese Szene genossen haben, dass das ein Moment war, wo sich aufgestaute Spannung entladen konnte?

Ich hatte den Eindruck, sie waren eher peinlich berührt. Bei der Szene des Weinkrampfes verließ während der Premiere beim Filmfestival von Cannes ein Mann demonstrativ die Vorführung.

Ihre Inszenierung wirkt sehr ausgeklügelt mit den langen Einstellungen oder aber jenen, in denen die Kamera starr bleibt statt den Personen zu folgen und diese deshalb oft nicht ganz im Bild sind.

Ja, dem liegt eine Choreografie zu Grunde. Oft korrespondiert solch eine mise-en-scene mit den Fantasien der Zuschauer, die sich fragen: was passiert außerhalb des Bildfeldes? Die langen Einstellungen haben für mich viel mit dem Erfassen von Echtzeit zu tun. In der Szene, bevor die Lawine herunterkommt, fragt die Tochter, "Gibt es keinen Parmesan?" Ich liebe die Realität solch kleiner Details, die die Katastrophenmomente in ein anderes Licht setzen.

Der Kontrast zwischen dem menschlichen Verhalten und der überwältigenden Natur vermittelte mir den Eindruck, letztere wird immer Sieger bleiben in der Auseinandersetzung, egal, was die Menschen auch machen.

Das stimmt: in den Bergen zu sein, bedeutet für mich die einzige Zeit, wo all meine anderen Probleme im Leben verschwinden. Es verändert meinen Blick auf mein Leben ganz gewaltig. In der Stadt habe ich alle Zeit der Welt, psychologische Probleme zu wälzen, in den Bergen bin ich mit einer überlebensgroßen Natur konfrontiert. Das ist wie eine Metapher für das Geschehen im Film: Tomas hat eine Verhaltensweise an den Tag gelegt, die als ‚unzivilisiert’ gilt. Das versucht er hinterher zu vertuschen.

Ihr vorangegangener Film »Play« endete mit einer Art Nachsatz, wo einer der Väter der schwedischen Jungen, die zuvor von einer Gruppe etwas älterer afrikanischer Jungen ausgenommen wurden, selber gewalttätig wird. Die Coda in »Höhere Gewalt« dagegen ist sehr viel leichter, komischer.

Wenn wir Kinder sehen, die eingeschüchtert und ausgenommen werden, haben wir wirklich Angst, dass es noch schlimmer kommen könnte. Hier dagegen haben wir es mit Menschen zu tun, die einen gewissen Wohlstand besitzen und ihr Leben unter Kontrolle haben - darüber darf man sich schon einmal amüsieren. Wenn es um Hautfarbe, Rasse und Klasse geht, ist das anders. »Play« war auch viel stilisierter, es gab im ganzen Film nur 42 Schnitte, dadurch war es viel schwieriger, eine Dynamik herzustellen. Hier hat der Rhythmus viel mit Humor zu tun.

 

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