Kritik zu Vom Ende einer Geschichte

© Wild Bunch

2017
Original-Titel: 
The Sende of an Ending
Filmstart in Deutschland: 
14.06.2018
L: 
108 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Jim Broadbent und Charlotte Rampling spielen die Hauptrollen in der Verfilmung des preisgekrönten Romans von Julian Barnes. Es geht um einen Rentner, der sich mit Ereignissen aus seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss, die er ganz anders in Erinnerung hatte

Bewertung: 2
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Julian Barnes' 2011 erschienener Roman handelt von der Tücke der Erinnerung und davon, dass unsere Vergangenheit eine mehr oder weniger gut erfundene Geschichte ist, die wir uns selbst erzählen. Es gehört zu jenen Büchern, die den Leser nicht mehr loslassen, weil es am Ende keine Auflösung gibt: Tony, der mit über 60 durch eine Erbschaft dazu gebracht wird, Ereignisse aus seiner Studentenzeit zu überdenken, hat auch am Schluss keine Klarheit darüber, was wirklich war. Warum sich sein Freund Adrian später das Leben nahm, warum die Mutter seiner Freundin Veronica ihm sein Tagebuch vererbte – dafür bietet der Roman zwar Faktenmaterial, aber deren Interpretation obliegt dem Leser. Wie aber adaptiert man eine Geschichte für die Leinwand, von der man gar nicht genau weiß, wie sie sich zugetragen hat?

Eine erste Antwort auf diese Frage gibt der Film durch seine Besetzung: Jim Broadbent und Charlotte Rampling in den Hauptrollen signalisieren, dass man gewillt ist, mit Sorgfalt der literarischen Vorlage Ehre zu erweisen. Mit dem Inder Ritesh Batra hat man einen Regisseur gefunden, der in seinem Spielfilmdebüt »Lunchbox« großes Talent darin gezeigt hat, von der Gefühlswelt seiner Figuren durch kleine, alltägliche Abläufe zu erzählen. So beginnt der Film mit Broadbents Tony und seinem bequemen, wenn auch um jedes Verlangen reduziertes Seniorenleben. Er wacht auf im Moment, bevor der Wecker klingelt, er trinkt seinen Tee und liest seine Zeitung, er drückt sich vor der leicht zudringlichen Freundlichkeit des Postboten und schließt seinen Kamera-Laden auf, ganz so, als sei er auf keinerlei Umsatz angewiesen. Zwischendurch wird er von seiner Ex-Frau (Harriet Walter) daran erinnert, dass er der hochschwangeren Tochter (Michelle Dockery) aushelfen soll. Der leicht genervte Ton, in dem die Frauen mit ihm umgehen, zeigt an, dass Tony nicht immer der aufmerksamste Mann ist und dass man desto besser mit ihm auskommt, je weniger man von ihm erwartet.

In diese Beschaulichkeit eines gewissermaßen mittelglücklichen Lebens dringt der Brief einer Kanzlei, die Tony ankündigt, er habe geerbt. Zu seinem Erstaunen handelt es sich bei der Erblasserin um die Mutter seiner ersten Liebe, Veronica, mit der er in seinen Collegejahren einige Zeit zusammen war. Beim Erbe, auch das erfährt er erst auf Nachfrage, handle es sich um ein Tagebuch. Tony hat keine Ahnung, warum Veronicas Mutter ihn ausgesucht hat, nach all den Jahren. Aber er ist aus seiner Lethargie gerissen. Erstens beginnt er, seiner Ex-Frau zum ersten Mal von jener Zeit mit Veronica zu erzählen. Und zweitens versucht er die ebenfalls in London lebende Veronica zu treffen, die ihn zuerst hinhält und dann nur bruchstückweise darüber ins Bild setzt, dass sie mit ihm eigentlich nichts zu tun haben will.

Der Film springt einige Zeit hin und her zwischen Gegenwart und Vergangenheit, er illustriert die schwierige Beziehung zwischen dem unsicheren, übereifrigen jungen Tony und einer schönen, aber auch sehr launigen jungen Veronica. Die ungleiche Freundschaft, die Tony mit dem hochbegabten Adrian (Joe Alwyn) beginnt, wird nur angedeutet. An manchen Stellen sieht man den alten Tony durch seine Jugenderinnerungen streifen, als wären sie eine Installation, die man begehen könnte. Anders als die Romanvorlage, in der das Vergangene ausführlich, aber eben nicht ganz zuverlässig, geschildert wird, konzentriert sich der Film größtenteils auf die Gegenwart, in der Tony zunehmend den Kokon seiner Selbstgenügsamkeit durchbricht und sich seinen Nächsten zu öffnen beginnt. Katalysator dafür ist eben nicht seine Erinnerung – von der er feststellen muss, dass er sie zu seinen Gunsten beschönigt hat –, sondern seine Frustration über das eigene Nichtbegreifen. Das alles ist wunderbar fein gespielt, bleibt aber feige im sicheren Rahmen einer »gepflegten« BBC-Produktion. Was an Barnes' Buch so aufregend und verstörend war, dazu findet der Film keinen Zugang.

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