Kritik zu Vatersland

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Mit ihrer Doku über Ernst Kandel sorgte Petra Seeger für Aufmerksamkeit, ihr neuester Film beschreibt, autobiografisch geprägt, das Heranwachsen in den 60ern und 70ern

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Man denkt ja immer, dass die Menschen im fortgeschrittenen Alter ihre Jugend verklären und gerne einen Blick zurückwerfen auf eine weitgehend unbeschwerte Zeit. Die Erinnerung steht auch im Zentrum des neuen Films der Regisseurin Petra Seeger, doch mit einer irgendwie nostalgischen Perspektive, einem wohligen Wiederauferstehen der Vergangenheit, hat ihr Film nichts zu tun. 

Es ist eine bleierne Zeit. Mit einer großen, alten, schweren, braunen Kiste beginnt der Prozess der Erinnerung; sie wird ins Haus der Filmemacherin und Drehbuchautorin Marie (Margarita Broich) gebracht, voll mit Familienfotos und 16-mm-Aufnahmen. Es ist die Hinterlassenschaft ihres Vaters, der in einem Pflegeheim lebt. »Alles ist autobiografisch, selbst das Erfundene«, steht im Abspann des Films: Die Fotos und Filme stammen in Wirklichkeit vom Vater der Filmemacherin, einem professionellen Fotografen. Und immer wieder unterbrechen sie die Handlung, treiben sie aber auch weiter: Bilder und Szenen vom Urlaub mit Zelt, Porträts, Spiele auf der Wiese. 

Seeger schildert eine Kindheit und Jugend über fast zwei Jahrzehnte, von den sechzigern bis in die späten siebziger Jahre. Und es ist keine schöne Zeit für die junge Marie: Die Mutter, auch von Margarita Broich gespielt, wird krank und stirbt, und Maries Vater erwartet, dass sie im Haushalt an ihre Stelle tritt, beim Kochen und beim Putzen. Zu Weihnachten bekommt ihr Bruder eine Kamera geschenkt, sie jedoch ein plüschiges Kuscheltier. »Mädchen gehören vor die Kamera«, meint ihr Vater, der im Krieg war und das immer mal ins Gespräch wirft, bis hin zu Formulierungen wie »bis hin zur Vergasung«, ein Superlativ, der in den Sechzigern noch Allgemeingut war. 

Natürlich ist dieser Film konsequent aus Maries, aus weiblicher Perspektive erzählt. Ein schönes Beispiel für die Dominanz der Männer findet Seeger in der Szene, die auch das Filmplakat ziert: Da hängen vor Marie drei Unterhosen, zwei riesige Feinripp-Teile und ihr kleines Höschen. Überhaupt macht einem der hervorragend fotografierte Film (Kamera: Hajo Schomerus) auch die Enge und Farblosigkeit dieser Zeit deutlich. Bunt waren die Autos, aber nicht die Wohnungen.

Aber »Vatersland« liefert nicht nur eine Leidensgeschichte, sondern auch eine Emanzipationsgeschichte, von der Klosterschule über die WGs bis hin zur Zelle der Maoisten, in der genauso autoritäre Strukturen herrschen wie in Maries Familie. Und es ist auch eine Alltagsgeschichte der Bundesrepublik. 

Die drei Darstellerinnen der Marie in ihrer jeweiligen Altersstufe machen ihre Sache genauso hervorragend wie Margarete Broich, doch das eigentliche Ereignis des Films ist Bernhard Schütz als Vater, dem »schon mal die Hand ausrutscht« (wie man damals sagte), dem man aber immer auch seine Hilflosigkeit, Überforderung, Sprachlosigkeit und emotionalen Defizite anmerkt, die symptomatisch waren für diese Generation von Männern. Schade nur dass die Rahmenerzählung, die Handlung in der Gegenwart, mitunter etwas holprig und aufgesetzt daherkommt.

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