Kritik zu Traffic – Macht des Kartells

© Splendid/20th Century Fox

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Bereits in seinem 1996/97 geschriebenen Buch »Getting Away With It« befasste sich Steven Soderbergh mit Fragen nach der Logik der amerikanischen Drogenpolitik. Damals verweigerte er eindeutige Antworten, die er auch in »Traffic« nicht gibt. An der Oberfläche besteht sein neuester Film aus drei parallel verlaufenden Handlungssträngen – doch damit ist die Struktur des Films unzulänglich beschrieben, denn tatsächlich hat Soderbergh diesmal exzessiv seine Obsession ausgelebt, die Geschichten seiner Filme in zahllose szenische Einzelteile zu zerlegen, um diese dann in scheinbar assoziativer Manier wieder zusammenzufügen.

Das Ergebnis lässt sich am ehesten mit einem schillernden Mosaik vergleichen, das aus einer Vielzahl von Details besteht, die für sich genommen bereits von großer Kraft sind und in ihrer Summe ein beeindruckendes Gesamtbild ergeben, das mit Worten kaum zu fassen ist. »Traffic« besteht aus lauter furiosen Kabinettstückchen, in denen immer alles anders kommt, als man es erwartet. Das beginnt schon mit der ersten Szene, die mit ihrer bizarren und paradoxen Mischung aus Realismus, Stilisierung, Coolness und Rohheit den Ton setzt für den Rest des Films. Da sitzen zwei mexikanische Cops in ihrem Wagen und warten irgendwo im Niemandsland um Tijuana darauf, ein paar Drogenschmuggler hochzunehmen. Der eine rotzt aus dem Wagen, und überhaupt sehen diese Burschen ziemlich unseriös aus – und doch wird sich einer von ihnen als integerste Figur des ganzen Films erweisen. Ihr Einsatz wird ein voller Erfolg, aber noch bevor die beiden die Festnahme wirklich genießen können, erscheint der sinistre General Salazar (Tomas Milian) auf der Bildfläche und nimmt Javier (Benicio Del Toro) und Manolo (Jacob Vargas) den Fall (und die Drogen) aus der Hand.

Zur selben Zeit wird in Ohio der konservative Richter Robert Wakefield (Michael Douglas) vom Präsidenten zum obersten Drogenbekämpfer der USA ernannt. Als er jedoch erfährt, dass seine jugendliche Tochter Caroline selbst drogensüchtig ist und seine Frau (Amy Irving) sogar Verständnis für die »Experimentierfreude« der Kleinen aufbringt, versteht der beinharte Wakefield die Welt nicht mehr – ohne zu realisieren, dass er den Draht zu seiner Familie sowieso schon lange verloren hat.

Währenddessen gelingt es den US-Drogenfahndern Montel (Don Cheadle) und Ray (Luis Guzman), in San Diego den berüchtigten Drogenbaron Carlos Ayala (Steven Bauer) hinter Gitter zu bringen. Doch seine Frau (Catherine Zeta-Jones), die bislang nichts von den Machenschaften ihres vermeintlich ehrbaren Mannes wusste, lernt sehr schnell, das Familiengeschäft mit eiserner Faust weiter zu führen.

Manchmal berühren sich diese drei Handlungsfäden, ganz zart nur, und ohne dass die Wege der jeweiligen Hauptfiguren sich kreuzen würden. So gelingt es Soderbergh zu zeigen, wie alles mit allem zusammenhängt und wie jede Tat weitreichende Auswirkungen hat, von der der Handelnde gleichwohl nichts ahnt. Zugleich suggeriert er damit, dass in der Welt des Drogenhandels wie auch der Drogenbekämpfung niemand wirklich alle Zusammenhänge überblicken und verstehen kann. Jeder kämpft an seiner eigenen Front. So spaltet sich »Traffic« in eine ganze Reihe kleiner Dramen auf, die wiederum den Rahmen bilden für eine Ansammlung meisterlich komponierter Einzelszenen: die nervenzerrende Konfrontation zwischen Wakefield und seiner rückfällig gewordenen, gleichgültigen Tochter etwa; Benicio Del Toro, wie er in einer Schwulenkneipe einen Profikiller aufreißt; oder eine wahnwitzig choreografierte Attentatsszene – jede Geste spricht Bände, jede Einstellung bringt eine Stimmung auf den Punkt, jeder Schnitt saugt einen tiefer ins Geschehen hinein. Und Soderbergh, der den Film mit enormem Tempo und kleiner Crew gedreht und unter dem Pseudonym Peter Andrews auch die Kamera geführt hat, hat für jeden Spielort einen eigenen »Look« konzipiert, der sich auf intelligente Weise mit der jeweiligen Grundstimmung verzahnt: Ockertöne und giftiges Gelb sowie grobkörniges Filmmaterial für die Mexiko-Szenen, die Tijuana wie eine modrige Vorhölle anmuten lassen, in der Javier versucht, seine Integrität zu bewahren; gleißendes Sonnenlicht und leicht überbelichteter Film für die San-Diego-Episode, in der Catherine Zeta-Jones mit den dunklen Geschäften ihres Gatten konfrontiert wird und schon bald die Schattenseiten ihrer eigenen Persönlichkeit entdeckt; kaltes Blau schließlich für die Szenen im Haus der Wakefields, deren Tochter Caroline im Drogenrausch eine Wärme spürt, die ihre Eltern ihr nicht geben können. Erika Christensen spielt diesen Teenager in einer grandiosen Mischung aus Trotz, Frustration, Blasiertheit und Verzweiflung: Sie ist die Entdeckung des Films.

Insgesamt kommt »Traffic« sehr distanziert und beobachtend daher. Soderbergh versucht, alle Aspekte des Drogenproblems zu beleuchten, ohne zu moralisieren und irgendeine Position von vornherein zu verdammen – wenngleich er deutlich mehr Sympathie für die »Männer der Straße«, für Cops wie Montel und Ray aufbringt, die Tag für Tag versuchen, wenigstens kleine (Pyrrhus-)Siege zu verzeichnen, als für die politische Klasse, der es an erster Stelle um Macht geht. Bezeichnenderweise ist es Del Toros ritterlicher Straßenbulle Javier, der am Ende als einziger so etwas wie einen Sieg davon trägt, weil er als einziger völlig uneigennützig handelte und mit seiner Undercoverarbeit den Jugendlichen seines Viertels eine Flutlichtanlage für ihr Baseballfeld erkaufte. Nur sein trauriger Blick erzählt von den Abgründen, in die er dafür blicken musste. Und dass es immer weiter und weiter geht, ist ihm (und uns) sowieso klar.

Wenn Wakefield am Ende seinen Posten aufgibt, erwartet man eine flammende Abschlussrede. Doch Soderbergh und sein Autor Stephen Gaghan belassen es beim öffentlichen Bekenntnis Wakefields, dass er die Drogenpolitik seines Landes schlichtweg nicht versteht. Er will nicht mehr predigen, sondern (seiner Tochter) zuhören – das ist immerhin ein Anfang. Dieses unspektakuläre, resignative und zugleich verhalten optimistische Ende ist ungewohnt und wirkt zunächst unbefriedigend, fordert vom Zuschauer jedoch, aus den angerissenen Gedankengängen eigene Schlüsse zu ziehen – aus der Tatsache etwa, dass Jugendliche in den USA an harte Drogen leichter herankommen als an Alkohol oder dass Drogenhandel in den Gettos der Großstädte eine »unschlagbare Marktkraft« ist, weil dort jeden Tag zahllose reiche weiße Kids durch die Straßen fahren und die Schwarzen nach Stoff fragen, wie ein Freund Carolines ihrem bitteren Vater erklärt – eine der stärksten Szenen des Films, die indirekt auch den überheblichen Rassismus des weißen Mittelstandes thematisiert.

Es gibt in »Traffic« viele solcher Szenen voller Kraft und Intelligenz, und sie reihen sich mit einer Dichte und einem Tempo aneinander, dass man sich zunächst ein wenig erschlagen fühlt von der schieren Masse an inhaltlicher Information und formaler Innovation. Wie bei einem gigantischen Mosaik muss man erst etwas Abstand nehmen, um die Komplexität der Komposition auch nur annähernd zu erfassen. »Traffic« ist ein Film, der lange nachwirkt.

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