Kritik zu Töchter

© Peripher Filmverleih

Maria Speth (»Madonnen«, »9 Leben«) beschäftigt sich mit einem Mutter-Tochter­-Verhältnis, das aus gegen­seitiger Übertragung besteht. Es spielen Corinna Kirchhoff und Kathleen Morgeneyer

Bewertung: 4
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3 (Stimmen: 1)

Hinter ihrer Fassade gepflegter Bürgerlichkeit verbirgt Agnes (Corinna Kirchhoff) ein quälendes Unglück. Die 15-jährige Tochter der Lehrerin hat sich aus dem Staub gemacht und die hessische Provinz Richtung Berlin verlassen.  Die Polizei mutmaßt, in einer dort aufgefundenen Toten das Mädchen gefunden zu haben.

Maria Speth lässt das uralte Thema heikler Mutter-Tochter-Konflikte nicht los. Ihr Spielfilm »Töchter« schließt an Motive ihrer Filme »Madonnen« und »9 Leben« an. Im einen lebt eine dysfunktionale Mutter mit ihren Kuckuckskindern in den Tag hinein. Im anderen, einem Dokumentarporträt von Berliner Straßenkindern, heben schwarzweiße Studioaufnahmen ihre schillernden Persönlichkeiten von der gängigen Elends­ästhetik ab. Maria Speth hat sich in der Szene umgeschaut. Was sie umtreibt, sind die heimlichen Zusammenhänge zwischen dem Wohlstandsmilieu und seinen in die Obdachlosigkeit abdriftenden Kindern.

Agnes kann die Tote nicht identifizieren. Ihre Tochter muss irgendwo da draußen sein. Aufgewühlt entscheidet sie sich, ein Hotelzimmer zu nehmen, ein Auto zu mieten und die Suche auf eigene Faust fortzuführen.

Die semidokumentarischen Szenen, in denen die Dame im eleganten blauen Mantel in Berliner Wärmestuben und auf der Straße ein Foto ihres Kindes herumreicht und verzweifelt nach möglichen Kontakten fahndet, sind indes nur der auf das Reale verweisende Auftakt zu einer Begegnung, die den Film plötzlich in ein surreales Kammerspiel und Psychodrama wendet.

Als der in Gedanken verstrickten Frau nachts ein Punkgirl namens Ines (Kathleen Morgeneyer) ins Auto läuft, mit Absicht, wie sich herausstellen wird, entspinnt sich ein provozierender Schlagabtausch mit der hartgesottenen jungen Frau, die eine Doppelgängerin ihrer Tochter sein könnte. Um Hilfe für das hungrige, vielleicht verletzte Schmuddelkind bemüht, lässt sich die schuldbewusste Agnes darauf ein, Ines für den Rest der Nacht in ihr Hotelzimmer mitzunehmen. Im künstlichen Wellness-Ambiente des Hotels entpuppt sich das ­schmale Energiebündel als fordernder Parasit, der die Schuldgefühle des Gegenübers böse funkelnd für den bequemen eigenen Verbleib nutzt. Agnes gerät an die Grenzen ihrer Souveränität, erwacht jedoch aus ihrer Erstarrung und scheint die Vorgeschichte mit der verlorenen Tochter in dieser Druckkammer endlich bewusst nachzuerleben. Ines kehrt ihre Kindheitstraumata hemmungslos nach außen. Das Kunststudium brach sie ab und fixierte sich ganz auf den riskanten soziopathischen Aktionismus, ausbeutbare Opfer zu finden.

Maria Speth gelingt ein scharfsichtiges Duell zweier starker Frauenfiguren. Reinhold Vorschneiders Bilder intensivieren seine Unausweichlichkeit in der klaustrophobischen Enge des Hotelzimmers, bevor sich der Blick am Ende öffnet. Weniger »Schaut her, ich spiele«-Anmutung im Spiel der beiden versierten Theaterschauspielerinnen hätte »Töchter« noch besser getan.

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