Kritik zu Therapie für Wikinger

© Neue Visionen Filmverleih

Anders Thomas Jensen zeigt einmal mehr seine Vorliebe für skurrile Szenarien und makabren ­Humor – dieses Mal mit Mads Mikkelsen und Nikolaj Lie Kaas als ungleichem Brüderpaar

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In den Filmen von Anders Thomas Jensen darf Mads Mikkelsen sich von einer anderen Seite zeigen. Hier ist er mal nicht der gut aussehende, gefährliche Bond-Bösewicht, nicht der raffinierte Dr. Hannibal Lecter aus der Serie und auch nicht der aufrechte Männerheld aus seinem letzten Film, dem Historiendrama »King's Land«. In »Therapie für Wikinger« spielt Mikkelsen Manfred, einen eher hässlichen, schwächlichen mittelalten Mann mit seltsamer Frisur und seltsamer Brille, der auch im Kopf nicht gerade der Schnellste ist. Sein Verhalten könnte auf ein Asperger-Syndrom hinweisen, aber klinische Diagnosen werden in diesem Film nicht gestellt.

Im Gegenteil, als Manfreds Bruder Anker (Nikolaj Lie Kaas) nach 15 Jahren Gefängnis nach Hause kommt, weist ihn seine Schwester Freja (Bodil Jørgensen) nüchtern darauf hin, dass Manfred nun nicht mehr »Manfred« gerufen werden möchte, sondern nur noch auf »John« hört. Er hält sich nämlich für John Lennon. Und wann immer jemand den falschen Namen sagt, flippt er aus. Als Anker, dem die Umbenennung des Bruders extrem schwerfällt, bei einer gemeinsamen Autofahrt mal »Manfred« sagt, springt dieser augenblicklich aus dem fahrenden Auto, ohne Rücksicht auf Verluste. Außerdem klaut Manfred/John jeden Hund, den er zu fassen bekommt, aber das ist nur ein Seitengag.

Mühsam stellt Anker sich auf die neue Marotte des Bruders ein. Gleichzeitig will er nämlich was von ihm: Anker hat zusammen mit Flemming (Nicolas Bro) damals eine Bank ausgeraubt und vor der Verhaftung seinen Anteil an Manfred übergeben, der ihn verstecken sollte. Aber da Manfred nun John ist, kann er sich nicht mehr daran erinnern, wo er das Geld vergraben hat. Auf der anderen Seite macht Flemming Druck und meldet mit der Autorität seiner physischen Überlegenheit Anspruch auf Ankers Beute an. Zusammen mit Manfred/John macht sich Anker auf den Weg zu dem abgelegenen Haus, das einst das Zuhause ihrer Familie war, inzwischen aber anderen Menschen gehört, die es als Airbnb anbieten.

Für den frisch Entlassenen, der brav Anzug mit weißem Hemd trägt, wird die Ausfahrt zur harten Nervenprobe. Kaas gibt als straight man einen wunderbaren Gegenpart zu Mikkelsens störrischer Neurose. In wenigen Flashbacks enthüllt der Film eine traumatische Kindheit der Brüder, die beiden eine berührende Tiefe verleiht und verborgene Gemeinsamkeiten enthüllt.

Doch Jensen hat für seinen Film noch sehr viel mehr auf dem Zettel als die Gangster- und Brüdergeschichte. Bald stellt sich heraus, dass auch das neue Hausbesitzerpaar so seine exzentrischen Seiten hat. Und dann folgt ihnen auch noch Manfreds Psychiater Lothar (Lars Brygmann) aus der Nervenklinik, der sich von »John« inspiriert fühlt, die Beatles wieder zu vereinen – mit anderen Menschen mit »dissoziativer Persönlichkeitsstörung«. In Hamdan (Kardo Razzazi), der sich zugleich für Paul und Ringo (oder war es George?) hält, hat er in einer anderen Nervenklinik quasi ein »Schnäppchen« aufgegabelt. Allerdings ist Hamdan, der zwischen seinen Identitäten hin und herspringt, alles andere als leicht zu händeln. Immer wieder bricht aus dem Schweden mit Migrationshintergrund die große Sorge darüber heraus, irgendeiner der Anwesenden könnte etwas mit dem Holocaust zu tun haben. Wenn dem so sei, dann wolle er auf keinen Fall mitmachen! Außerdem singt er lieber noch als Beatles-Songs ABBA-Lieder. Was in diesem Film natürlich niemanden stört.

Wer andere Filme von Jensen gesehen hat, wie die schwarzen Komödien »Adams Äpfel« (2005) oder »Men & Chicken« (2015), wird wissen, dass er nicht davor zurückschreckt, lustige Szenen mit solchen von gröbster Gewalt zu mischen. Den Zuschauer an den Punkt zu bringen, an dem er sich schlecht fühlt beim Weiterlachen, scheint manchmal das gesteckte Ziel zu sein. Dann wiederum erreicht Jensen in seinem Chaos aus Geschwisterdrama, Schatzsuche, Horrorfilm und Irren-Satire jenes köstliche Gleichgewicht, bei dem das Exzentrisch-Neurotische zur Normalität wird – und folglich der große Gleichmacher ist. Wir sind Anker.

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