Kritik zu Tagebuch einer Pariser Affäre

© Neue Visionen Filmverleih

2022
Original-Titel: 
Chronique d'une liaison passagère
Filmstart in Deutschland: 
23.03.2023
L: 
100 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Ein lockerer Seitensprung unter erwachsenen Menschen, Sex ohne große Gefühle – kann das auf Dauer gutgehen? In dieser bittersüßen Liebes-komödie wird die Chronik einer Affäre und eines kultivierten Selbstbetrugs nachgezeichnet

Bewertung: 4
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»Ich möchte mit dir schlafen«, sagt Charlotte zu Simon beim ersten Rendezvous. Er ist von dieser Offensive überfordert, doch sie drängelt ihn mit unerschütterlicher Fröhlichkeit in ihre Wohnung. Dieses Muster – sie übernimmt die Führung, er windet sich – prägt auch ihre Beziehung, deren Entwicklung in diesem Antiliebesfilm erzählt wird. »Bloß kein emotionaler Stress!« lautet die Devise von Charlotte, einer geschiedenen, alleinerziehenden Mutter. Im Gegensatz zu ihr muss Familienvater Simon seinen Seitensprung geheimhalten, was aber nie zum handlungsbestimmenden Problem wird. Kinder, Beruf, Geld, Alltag: Alles, was erwachsene Menschen beschäftigt, bleibt ausgespart. Auch Paris erscheint in ihren Treffen als Arkadien, bestehend aus Galerien und Parks, eine Spielwiese, die durch das gelegentliche »weekend« in der Provinz erweitert wird.  

Der Film bestätigt einerseits das Klischee frivoler »Wie Gott in Frankreich«-Sitten. Dann wiederum kann eben niemand so elegant und zugleich unbarmherzig wie französische Regisseure jenes Gefühlsknäuel aufdröseln, das wie ein unsichtbarer Eisberg unter einem Techtelmechtel dräut. Das gilt besonders für Emmanuel Mouret, der, ein Erbe von Éric Rohmer, in allen seinen Filmen die Fallstricke in Liebesbeziehungen aufzeigt. Die Chronik dieser Affäre ist simpler als die Bäumchen-wechsle-dich-Spiele seines Vorgängerfilms »Leichter gesagt als getan« (2020), die für das hiesige Publikum wohl als zu kompliziert erachtet wurden. In idyllischen Bildern entfaltet sich eine als Bettgeschichte geplante Liebschaft, in der sich von einem Schäferstündchen zum nächsten beide immer mehr zueinander hingezogen fühlen, jedoch zu viel Angst haben, um aus der Deckung zu kommen. Die Inszenierung ist keusch, es wird kaum je geknutscht, jedoch viel geredet. Die in langen Plansequenzen inszenierten Dialoge sind zerebral – wir befinden uns mal wieder in einem literarisch gewandten Akademikermilieu – und haben doch, mit ihren unterschwelligen Emotionen, eine musikalische Qualität. In diesem Schauspiel eines zivilisierten und umso herzzerreißenderen Selbstbetrugs dienen Worte auch dazu, sich selbst zum Narren zu halten. Die wahren Gefühle zeigen sich in Mimik und Gestik, dem Schattenboxen zwischen zögerndem Vortasten und Zurückweichen.

Nicht alles ist stimmig; Vincent ­Macaigne, bereits in Mourets Vorgängerfilm der Softie für alle Fälle, ist als Simon etwas zu verdruckst, und Sandrine Kiberlain trägt als »femme libre« etwas zu dick auf. Wenn die Paarbeziehung zu einem »Dreier« erweitert wird, wirkt dies wie ein billiger Trick, um sich aus der Affäre zu ziehen. Dann wiederum ist die Selbstkontrolle der heimlich Liebenden klug. Nicht zufällig wird, als warnendes Beispiel, ein Ausschnitt aus Bergmans »Szenen einer Ehe« mit einer lamentierenden Liv Ullmann präsentiert. Das erste Treffen in der Bar erinnert ein wenig an den Erotikthriller »Fatal Attraction«. Doch auch diese behutsame filmische Versuchsanordnung beweist, dass die Liebe ein Minenfeld ist, das keiner ohne Narben verlässt.

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