Kritik zu Sweet Mud

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Die siebziger Jahre in der abgeschlossenen Welt eines israelischen Kibbuz, in dem ein 12-Jähriger versucht, seiner psychisch instabilen Mutter beizustehen

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»Ein anderer Ort«, so nannte Amos Oz seinen Roman über den Kibbuz, eine Welt, in der das menschliche Miteinander anders geregelt ist als gemeinhin üblich. An sozialistischen Idealen geschult und in jeweils überschaubaren Dorfenklaven zum Dogma erhoben, unterliegen die Kibbuzim strengster Kontrolle einer kleinen Führungselite. Was bei Oz nur sehr verhalten anklingt – psychische und familiäre Nöte, Verlogenheit und Denunziation –, wird in Dror Shauls Film »Sweet Mud«, der ebenfalls im Kibbuz spielt, zur Abrechnung mit dem System.

Wie Oz ist auch Dror Shaul ein Kind der Kibbuzideologie, die, ganz aufs Gemeinwohl ausgerichtet, die emotionalen Bindungen innerhalb der Familie von Geburt an unterdrückt. Folgerichtig beginnt der Film mit einem aus dem Off schreienden Baby, das Bild dazu zeigt das Schaltpult einer Überwachungsanlage, deren Hebel von einer Hand so lange nacheinander betätigt werden, bis das weinende Baby geortet ist, ein Milchfläschchen wird aus dem Wärmer genommen, und es ist – immer noch nur im Off – zu hören, wie das Wimmern des Kindes langsam abnimmt, die Kamera verharrt derweil auf den technischen Geräten. Ein starker Beginn, der uns gleich in die mechanisierte Kindererziehung einführt.

Auch Dvir, der 12-jährige Protagonist, hat seine Nächte im Kinderhaus verbracht, jetzt bereitet er sich auf seine Bar Mizwa vor. Ein Jahr der Rituale und Prüfungen steht ihm bevor, und er muss sich gleichzeitig um seine alleinstehende, psychisch labile Mutter Miri kümmern, die an den strikten Regeln der Gemeinschaft zu zerbrechen droht. Als schließlich Miris ältlicher Liebhaber aus der Schweiz zu Besuch kommt, gerät die Struktur des Kibbuz ins Wanken. Der Schweizer zieht mit seinem Charme auch Dvir sehr schnell in seinen Bann, der schon von einer gemeinsamen Zukunft in Genf träumt. Aber der Kibbuz lässt kein Glück zu und schon nach wenigen Wochen wird der Fremdkörper wieder verbannt, was einen erneuten Krankheitsausbruch Miris nach sich zieht.

Mit der Neugier des jungen Dvir, der einen noch unschuldigen Blick auf sein Kibbuz wirft, erkundet der Film die Abgründe, aber auch die skurrilen und humorvollen Seiten, die das Leben in einer abgeschotteten Welt mit sich bringt. Dvir macht Beobachtungen, die anderen verborgen bleiben. Für ihn wird das sich ihm darbietende Lügengebäude immer unerträglicher, zumal ihm niemand hilft, seiner kranken Mutter beizustehen.

Ein Jahr braucht Dvir, um eine Entscheidung zu treffen, ein Jahr, in dem er erwachsen wird, um schließlich über die Grenzen seines engen Horizonts hinausschauen zu können. Man kann ihn auch verlassen, den »anderen« Ort, der ja nur von außen gesehen so anders ist, und die Welt hinter der imaginären Mauer entdecken.

Das Ziel des Regisseurs Dror Shaul war es, »einen Film über die Sehnsucht nach Wärme und Gefühlen zu machen, die Sehnsucht nach der Illusion, dass wir nicht tatsächlich allein sind.« Das ist ihm mit Hilfe seiner fantastischen Schauspieler sehr einfühlsam gelungen.

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