Kritik zu Small World

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Bruno Chiche hat Martin Suters 1997 erschienenen Erfolgsroman »Small World« verfilmt: die Verbindung einer Kriminalgeschichte mit dem Porträt eines an Alzheimer erkrankten Mannes

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Die Welt ist klein, mit diesem vermeintlich erstaunten Ausruf redet Konrad (Gérard Depardieu) sich heraus, wenn ihm der Name eines Gegenübers mal wieder nicht einfällt. Konrad lässt auch sein Portemonnaie im Kühlschrank liegen, und manchmal findet er den Weg nach Hause nicht. Konrad hat Alzheimer. Eine Überraschung ist das zumal für die Leser von Martin Suters Roman nicht. Schon Konrads Körpersprache, die angewinkelten Arme und stampfenden kleinen Schritte deuten an, dass mit ihm etwas nicht stimmt.

Bruno Chiche hat Suters komplexe, raffinierte Erzählung, dessen Titel sich auf Konrads Standardausrede bezieht, mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle verfilmt. Er ist ein schönes monumentales Zentrum der Geschichte: ein Mann, der zunächst angsteinflößend wirkt durch seine Schwere und Unangepasstheit, der durch die Krankheit aber unschuldig und zutraulich wird wie ein Kind. Alzheimer, das ist hier eine Art Zeitmaschine, die Konrad unaufhaltsam in die Vergangenheit transportiert. Am Ende ist er ein großer reiner Tor in einer von Geldgier, Geilheit und Abhängigkeiten vergifteten Gesellschaft.

Schon der Reiz des Buches bestand darin, dass Suter die kenntnisreich geschriebene Krankengeschichte (Suters Vater litt an Alzheimer) mit einer Kriminalstory verknüpft hatte. Je mehr alltägliche Dinge Konrad vergisst, desto genauer erinnert er sich an seine Kindheit, als »Koni«, wie er damals genannt wurde, mit »Tomi«, dem gleichaltrigen Firmenerben, aufwuchs. Der fast 80-jährigen Firmenchefin Elvira, die Konrad seit Jahrzehnten vermeintlich selbstlos durchfüttert, ist dieser krankheitsbedingte Erinnerungsschub gar nicht recht. Als Simone (Alexandra Maria Lara), die junge Frau ihres Enkels, Konrads Gedächtnis mit alten Familienfotos zusätzlich auf die Sprünge helfen will, wird Elvira nervös.

Chiche hat den komplexen Stoff reduziert und den Gesellschaftskrimi in den Vordergrund gestellt. Das Herrenhaus mit dem dominanten Familienoberhaupt, das düstere Geheimnis, das die reiche Familie mit dem Sohn ihres Dienstmädchens verbindet, sind klassische Melo- und Krimimotive, die der Regisseur konventionell, aber spannend und stilvoll in Szene setzt. Dabei hilft ihm ein Starensemble: neben Alexandra Maria Lara als rehäugiger Schwiegertochter agieren die Grande Dame des französischen Films, Françoise Fabian, als Matriarchin Elvira, Niels Arestrup (»Ein Prophet«) als ihr gealtertes Muttersöhnchen Thomas und Nathalie Baye als Konrads schöne Jugendliebe Elisabeth. Die Darsteller verleihen ihren Figuren Abgründigkeit und Tiefe – und eine sehr französische Eleganz, wie »Small World« überhaupt sehr französisch ist in der Zeichnung einer unerbittlich hierarchischen Gesellschaft. Die Welt ist klein in diesem Film. Depardieu ist der Elefant in diesem Porzellanladen, der krankheitsbedingt, also völlig unschuldig, die brutale Ordnung dieser Familie durcheinanderbringt. Die lodernden Flammen zu Beginn des Films – Konrad zündet versehentlich ein Ferienhaus der Familie an – sind ein schönes Bild für die Verwüstungen, die er anrichtet, genauso wie für den Flächenbrand in seinem Kopf.

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