Kritik zu Santa & Andrés

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Carlos Lechugas Film über eine wachsende Freundschaft im Kuba der achtziger Jahre darf in seinem Entstehungsland nicht gezeigt werden

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Es ist ein einfacher Stuhl, den Santa durch die Hitze Kubas schleppt, auf ungepflasterten Wegen, vorbei an einem kleinen Wasserlauf und über zugewachsene Schienen, immer den Berg hinauf, bis sie auf einer Terrasse vor einer ziemlich verfallenen Hütte steht und dem Bewohner, Andrés Diaz, erklärt, dass er quasi unter Hausarrest steht. In der Nähe gibt es ein »Friedensforum« (»Noch eins?«, fragt Andrés), und der Volksrat habe sie geschickt. Und sie setzt sich auf ihren Stuhl vor das Haus in die Hitze und legt ihren Rucksack auf ihren Schoß. Viele Bedeutungen hat dieser Stuhl: Er ist Ausdruck des Machtverhältnisses zwischen den beiden und damit auch ein Symbol der Unterdrückung, er zeigt die Angst vor der Fraternisierung und auch den Außenseiter-Status von Andrés. In ihm kondensiert sich Politik. Und man sieht auch sehr schön die Absurdität der ganzen Aktion.

Der kubanische Regisseur Carlos Lechuga erzählt in »Santa & Andrés« gern mit solchen bedeutungsvollen Gegenständen. Und er hat die Geschichte der beiden, die so etwas ist wie ein Kammerspiel unter meist freiem Himmel, sehr reduziert in Szene gesetzt. Weniger ist mehr. Und alles hat seine Bedeutung. Er fällt auch nicht mit der Tür ins Haus, erst nach und nach enthüllen sich die Lebensgeschichten und auch die Geheimnisse der beiden. »Santa & Andrés« spielt 1983, wie ein Insert zu Beginn informiert. Die Achtziger waren eine Zeit großer Repression und des wirtschaftlichen Niedergangs; über 100.000 Menschen haben zu Beginn des Jahrzehnts illegal, wenn auch von der Regierung geduldet, die Insel verlassen.

Andrés ist ein Verbannter, ein Dissident, ein Schriftsteller, vor dem sich die lokalen Parteikader immer noch fürchten. Mit einem von ihnen, Jesus, hatte Santa einmal eine Affäre. Nachts schreibt Andrés an einem Buch, das er in seiner Latrine versteckt hält. Und Andrés ist schwul, also ein gewissermaßen doppelt Verfolgter. Einmal zeigt er Santa ein Foto seiner Schriftsteller-Clique, auch solch ein bedeutungsvoller Gegenstand; keiner von ihnen ist mehr da oder am Leben. Und auch Andrés wirkt eher wie ein Geist in seiner Bruchbude; er bleibt bis zum Schluss ein statischer Charakter, melancholisch gespielt von Eduardo Martinez.

Aber bei Santa (Lola Amores) beginnen die Veränderungen. Als es einmal sintflutartig regnet und Andrés sie hereinruft, gibt sie ihren Beobachterstatus auf. Und als sie ihn am dritten Morgen ihres Aufpasserdaseins bewusstlos in seiner Hütte findet, weil ihn sein Lover brutal niedergeschlagen hat, rettet sie ihn. Geht mit ihm schwimmen und in eine Bar, erzählt auch über sich, dass sie einen Sohn hatte, der bei einem Unfall ums Leben kam. Man spürt die Verzweiflung. Und als Jesus das Domizil von Andrés durchsuchen lassen will, warnt sie ihn vorher. Aber sie muss mit zur Hausdurchsuchung, muss mit einem Ei auf den Dissidenten werfen. Nicht nur ein brutaler Akt für ihn, sondern eine emotionale Demütigung für sie. Aber auch, wenn sie am Ende des Films den Pferch ihrer Kooperative säubert wie immer, wissen wir: Für sie wird Kuba nicht mehr dasselbe Land sein.

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