Kritik zu Passagiere der Nacht

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Der schönste Film der Berlinale 2022: Mikhaël Hers folgt einer Mutter und ihren beiden Kinder durch die Nächte von Paris am

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Wenn man einen Knopf drückt, zeigen die Lichtpunkte auf der Stadtkarte die Route an. Talulah (Noée Abita) ist in Paris angekommen, 18 Jahre alt, wie wir später erfahren, eine Ausreißerin vielleicht, die nach einem Ziel in der Nacht sucht. Und in Paris feiern gerade die Anhänger des frisch gewählten neuen Präsidenten Francois Mitterand den Wahlsieg. Es ist das Jahr 1981, und Mikhaël Hers durchmisst in »Passagiere der Nacht« das ganze Jahrzehnt mit einem schwebenden Schritt. 

1981 steht Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) mit ihren beiden Kindern vor den Scherben ihres Lebens. Ihr Mann hat sich von ihr und der Familie getrennt, und Elisabeth, die nie richtig gearbeitet hat, muss sich neu sortieren, ein neues Ziel suchen. Wie ein Ausguck wirkt ihre Hochhaus-Wohnung mit der umlaufenden Glasfront, und wenn sie nachts über die Stadt schaut, hört sie die Radiosendung »Passagiere der Nacht«, in der Leute anrufen oder ins Studio kommen können, um ihre Geschichten zu erzählen. Ihr Sohn Sie bewirbt sich beim Sender und übernimmt die eingehenden Anrufe für die Moderatorin (Emanuelle Beart in einer kleinen Rolle), und irgendwann sitzt sie selbst in der Nacht am Mikrofon. 

»Passagiere der Nacht« erzählt von Aufbrüchen, von Veränderungen, vom Auf und Ab, aber auf eine eher stille, beiläufige Art. Talulah ist einmal Gast der Sendung, und weil sie keine Bleibe hat, nimmt Elisabeth sie mit nach Hause, quartiert sie in einer Art Mansarde ein. Zwischen ihr und Elisabeths Sohn Matthias (Quito Rayon Richter) gibt es eine kurze Liebesgeschichte. Einmal gehen die beiden zusammen mit Matthias Schwester Judith (Megan Northam) ins Kino, in »Vollmondnächte« von Eric Rohmer. Sie gehe oft ins Kino, sagt Talulah, vor allem wenn es draußen kalt sei. Aber dann überlegt sie und sagt, dass man sich da doch verlieren kann. Mehr nicht. Und so funktioniert der ganze Film, mit verhaltenen Emotionen, mit vorsichtigen Enthüllungen. Dass Elisabeth einmal Brustkrebs hatte, kommt erst ziemlich spät zur Sprache. 

Sicherlich, es gibt auch Auseinandersetzungen, Schicksalsschläge, etwa die Drogensucht von Talulah, um die sich Elisabeth kümmert. Aber das trägt der Film nicht vor sich her. Was nicht heißen soll, dass er einen unbeteiligt lässt. Wenn Elisabeth realisiert, dass ihre Kinder groß geworden sind und ihr eigenes Leben führen, dann ist das ein Moment, der jede Zuschauerin und jeden Zuschauer berührt. 

Das Leben in diesem Film ist ein langer ruhiger Fluss, der sich manchmal aber auch zu einem Sog steigert, zusammengesetzt aus Fahrten durch die nächtliche Stadt und französischen Pophits, mit körnigen Amateuraufnahmen aus der Zeit. Immer wieder taucht das Hochhaus von gegenüber auf, das wirkt wie eine angestrichene Bienenwabe, ein Fixpunkt in der Nacht. Selten hat man bei einem Film eine solche Magie der Alltäglichkeit gespürt. Und eigentlich hätte dieser Film noch ein paar Stunden weitergehen können.  

Meinung zum Thema

Kommentare

Alles nicht falsch, was die Rezension ausführt, doch den konstatierten Sog konnte ich nicht nachempfinden: Das bloße Abfilmen einer mehr oder weniger alltäglichen Geschichte ohne Spannungsbogen, ohne visuelle oder sprachliche Qualitäten hat bei mir weitgehende Enttäuschung hervorgerufen. Schade!

Mir ging es aehnlich: Auch fuer mich hat der Film keinen "Sog" entfaltet, nur die letzten Szenen haben mich wirklich beruehrt.

Schöner, leiser Film, mit Tiefgang. So was können nur die Franzosen, eine Geschichte erzählt, ohne Kitsch. Wie das Leben so spielt. Großartig.

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