Kritik zu Naokos Lächeln

© Polyfilm

2010
Original-Titel: 
Noruwei No Mori
Filmstart in Deutschland: 
30.06.2011
L: 
133 Min
FSK: 
12

Der vietnamesisch-französische Regisseur Tran Anh Hung hat jahrelang auf das Signal gewartet, Haruki Murakamis 1987 erschienenen Erfolgsroman »Norwegian Wood« verfilmen zu dürfen

Bewertung: 4
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Der melancholische Beatles-Ohrwurm »Norwegian Wood« ist nicht nur für den Originalfilm- und den Buchtitel zuständig, sondern taucht bei Erfolgsautor Haruki Murakami schon gleich auf der ersten Buchseite auf. Im Film wird er wie ein »wissender« Kommentar der Musiklehrerin Reiko in der Handlung versteckt (von ihr gesungen und auf der Gitarre begleitet). Bei Murakami hat man manchmal den Verdacht, er spicke sein Werk mit »westlichen« Zutaten, um sein internationales Lesepublikum bei der Stange zu halten. Nichts von alledem hat Tran Anh Hung im Sinn, der als Fremder tief in die japanische Seele eintauchen und die besondere Naturverbundenheit der Japaner zum Sprechen bringen will. Der nicht enden wollende Spaziergang der Protagonisten Watanabe und Naoko im hohen Gras – nur dreißig Minuten lang waren am frühen Morgen die richtigen Lichtverhältnisse dafür vorhanden – ist zweifellos der Höhepunkt des Films. Poesie pur. Die vielen Landschaftsbilder tragen insgesamt dazu bei, dass die unglückliche Liebesgeschichte in jenen Schwebezustand hinübergleitet, der ihr auch als mangelnde Spannung oder unentschiedene Erzählweise ausgelegt werden kann.

»I once had a girl, or should I say, she once had me.« Die bekannte Liedzeile ist auf den 18-jährigen Watanabe (Kenichi Matsuyama) gemünzt, und die Frage, die dabei mitschwingt, erzählt schon die ganze Liebesgeschichte, die ihn an die geheimnisvolle, zwei Jahre ältere Naoko (Rinko Kikuchi) fesselt. Sie treffen sich zufällig in Tokio wieder, nachdem sich ihr gemeinsamer Freund Kizuki überraschend zu Hause in der Garage umgebracht hat. Als Naoko sich an ihrem 20. Geburtstag wünscht, nicht älter als 18 oder 19 zu werden, wird die Lebensangst und Weltferne dieses Mädchens offenbar, das sich nach dem Liebesakt, ihrer Entjungferung, plötzlich von Watanabe zurückzieht, um sich erst nach vier Monaten aus einer Klinik in den Bergen zu melden. Naoko ist depressiv, und es ist der schwankende Zustand ihrer Krankheit und Weltwahrnehmung, der Watanabes Lebensgefühl und den ganzen Film im Griff behält.

Der Regisseur setzt die zaghafte Annäherung der beiden bis zur regelrechten Verschmelzung ihrer Gesichter mit betörenden Großaufnahmen ins Bild, die uns ganz nah an die beiden heranlassen und trotzdem die Distanz zu den Figuren nicht aufheben. Das gehört zu den auffälligen Stilmerkmalen des Films, der, wie Tran Anh Hung selbst sagt, die Haut der Schauspieler als visuelles Element hervorheben will, diese auch zum Farbgeber der vorherrschenden Blau- und Grüntöne genommen hat. Obwohl das Ganze in den 60er Jahren spielt, protestierende Studenten die Straßen unsicher machen, Watanabe mit seinen Kommilitonen durch die Kneipen zieht, Mädchen aufreißt, dann von der Studentin Midori umworben wird, die ihn mit sexuellen Fantasien bedrängt, beeinträchtigt diese handfeste Gegenwelt in keiner Weise seine Liebestreue zu Naoko, die er nur zweimal in der Einsamkeit besuchen darf.

»Naokos Lächeln« (2010)

Während die Romanvorlage wegen ihrer expliziten Sexualität umstritten war, wirkt Hungs Film eher keusch, unterstreicht die von pubertären Unsicherheiten geprägte Coming-of-age-Geschichte eines jungen Mannes, der weniger agiert als reagiert. Die Dreiecks-, wenn nicht Vierecksbeziehung des Romans – da ist neben der gleichaltrigen Midori auch noch die ältere Musiklehrerin Reiko im Spiel, die ihr Zimmer mit Naoko teilt und eine innige Beziehung zu ihr, aber auch zu Watanabe hat – hebt sich allenfalls in der wärmeren Beleuchtung von der Gesamtstimmung des Films ab. Zu wenig, um eine Gegenwelt zu entwerfen, die der autistischen Stille und den morbiden Farbtönen Paroli bieten könnte. Der Schluss ist ein offenes Ende, wie auch anders, das den verwirrten Watanabe am Telefon (zu Midori) sagen lässt: »Wo bin ich eigentlich?«

Zurück bleibt das beeindruckende Spiel von Rinko Kikuchi – manche kennen sie vielleicht aus Alejandro Iñárritus »Babel« oder Isabel Coixets »Eine Karte der Klänge von Tokyo« –, die diese Geschichte einer Depression zwischen Erwartung, Versprechen und jähem Absturz bis zuletzt durchhält und dadurch auch dem vielsagenden Titel »Naokos Lächeln« zu seiner Berechtigung verhilft.

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