Kritik zu London Boulevard

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William Monahan hat für Martin Scorsese (»Departed – Unter Feinden«) und Ridley Scott (»Der Mann, der niemals lebte«) Drehbücher geschrieben. Sein Regiedebüt siedelt er in der englischen Kapitale an

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Der Berufsganove Mitchel (Colin Farrell) kommt nach drei Jahren aus dem Gefängnis frei. Vor dem Tor wartet schon sein alter Kumpel Billy (Ben Chaplin), doch die Freude über das Wiedersehen ist getrübt. Mitchel weiß nur zu gut, dass dieser ihn wieder zu krummen Geschäften verführen will. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis er mit Billy Schutzgelder eintreibt. In einem Hochhaus, bewohnt von farbigen Sozialhilfeempfängern, kommt es prompt zu einem Zwischenfall, denn die Opfer sind nicht ganz wehrlos. Um die alten Machtverhältnisse wieder herzustellen, erschießt Billys Auftraggeber, der heimtückische Gangsterboss Grant (Ray Winstone), einen der aufmüpfigen Afroamerikaner. Nicht zufällig ist Mitchel dabei Tatzeuge – und wird durch diese Komplizenschaft gegen seinen Willen in die »Familie« des Paten integriert.

Der Plot dieses Noirkrimis erscheint wie das totale Déjà-vu. Doch die Handlung allein ist nicht das Entscheidende in William Monahans Regiedebüt. Sein Krimi lebt von der Präsenz Colin Farrells, der bereits in Brügge sehen … und sterben als depressiver Auftragskiller faszinierte. Nun verkörpert er einen eher agilen Gangster, der wie ein sprungbereites Raubtier durch die Straßen tigert – und dennoch charmant sein kann. Diese Mischung beeindruckt die öffentlichkeitsscheue Filmdiva Charlotte (Keira Knightley), die ihn als Bodyguard engagiert. Mitchel soll die aufdringlichen Paparazzi im Zaum halten, die Charlotte zur Gefangenen ihrer Londoner Villa machen.

Ken Bruens Buchvorlage zu dieser Liaison dangereuse ist natürlich schon vom Titel her als Hommage an den Hollywood-Klassiker Sunset Boulevard zu erkennen. Doch anders als Gloria Swanson, die sich in Billy Wilders morbidem Melo als vergessener Filmstar an ihrem einstigen Ruhm berauscht, scheint Charlotte eher eine moderne Frau zu sein, die ihr Schicksal selbst bestimmt. Das gilt jedoch nicht für ihre Filmrollen, denn sie gesteht Mitchel, wie sehr sie es anödet, auf der Leinwand eine stereotype Funktion zu erfüllen – nämlich als Stichwortgeber für Männer, die dann über sich selbst monologisieren.

Leider fällt Keira Knightley als Charlotte zum Teil auch in diese Kategorie. Allerdings setzt der Kameramann ihre knochige Figur derart prägnant ins Bild, dass mit ihrer knabenhaft- männlichen Anmutung noch eine weitere Assoziation entsteht: Mitchels Ausflug in die geheimnisvolle Enklave dieses Filmstars, der sich mit düsteren Francis-Bacon-Gemälden umgibt, erinnert plötzlich an Nicolas Roegs Performance. Dort taucht ein kleiner Gangster unter bei einem Star, gespielt von Mick Jagger, und macht dabei latent homoerotische Erfahrungen. Auch die Liebesgeschichte zwischen Mitchel und Charlotte hat einen Unterton. Dieser bildet den Schlüssel zu Monohans Krimi, in dem auch der geschwätzige Gangsterboss Grant an Mitchel ein erotisches Interesse hat: Dieses Amalgam aus latenter Homoerotik und extremer Brutalität – in Scorseses Gewaltopern ständiges, aber nie greifbares Thema – buchstabiert dessen Drehbuchautor Monahan nach seinem Oscar für Departed in seinem eigenen Film nun expliziter aus.

Auf den Stationen seines traurigen Niedergangs begegnet Monahans tragischer Held einer Reihe schillernder Nebenfiguren. Allen voran der Harry Potter-Darsteller David Thewlis, der Erich Stroheims Part aus Sunset Boulevard neu interpretiert und dabei einen Hauch von Zen versprüht.

»London Boulevard« überzeugt als stylischer, doppelbödiger Krimi, der zwar nicht so genial ist wie ein Werk der Coens, dabei aber deren zuweilen inflationäre Selbstironie meidet. Dank atmosphärischer Londonbilder von Chris Menges ist das Geschehen in einer dokumentarisch präzise beobachteten sozialen Realität von heute situiert. Das Ganze wirkt zugleich aber stets spielerisch leicht, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Durch die Unterlegung mit geschmackvollem Britpop aus den Sechzigern erhalten manche Sequenzen tranceartigen Clipcharakter. Wenn Colin Farell mit dem Rolls-Royce-Cabrio durch London fährt und dazu der Yardbirds-Heuler »Heart Full of Soul« erklingt, dann sind diese Bilder suchtbildend.

Meinung zum Thema

Kommentare

William Monahan hat eine Großstadtballade gemacht, die zeigt, wie man unter die Räder kommt, auch wenn man sich noch so sehr dagegen stemmt. Hier gilt das Gesetz des Dschungels. Die äußeren Umstände sind so, dass es nicht gelingt von der schiefen Bahn auf der anständigen Ebene zurückzukommen. Mitch, der Exknacki (Colin Farrell), versucht es, nimmt sogar einen Job als Bodyguard bei Promi Charlotte (Keira Knightley) an. Sie fürchtet die Paparazzi, die ihr Haus belagern. Im Gesamtbild ist sie allerdings nur Staffage, dagegen ist die Schwester von Mitch Briony (Anna Friel) so locker drauf, dass sie sich keinen Kopf um ihr mögliches Ende macht, das uns in letzter Konsequenz optisch erspart bleibt. Mitch hatte sich mit dem großen Gangsterboss Rob Gant (Ray Winstone) angelegt. Briony ist seine Schwachstelle. Zwischen den beiden ‘Kampfhähnen‘ knistert es nur so vor Hass und verletzter Eitelkeit. Beide schenken sich nichts. Nur hat Rob mehr ‘Indianer‘.
Alle Figuren bewegen sich in einer bedrohlichen Atmosphäre, in der sich die Handlung ganz unaufdringlich durch die Gefahrenzonen bewegt. Hinter jeder Ecke, bei jedem Treffen lauert der Tod und kann blitzschnell und unvorbereitet zuschlagen. Selbst der korrupte Kommissar Bailey (Eddie Marsan) bleibt auf der Strecke mit seiner ironischen Recherche. Andere kleine Nebenhandlungen sind Farbtupfer, die das Bild vom London Boulevard vervollständigen. Wenn Kameralegende Chris Menges die Bilder einfängt, sieht das alles schön aus. Schön gefährlich. Fast noch Old School (2010) aber toll.

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