Netflix: »Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery«
Im dritten »Knives Out«-Mordfall muss Daniel Craig als Detektiv Benoit Blanc den Tod eines Priesters aufklären
Klirr! Ein schepperndes Geräusch aus einem Kämmerchen in der Apsis lässt die wenigen treuen Gottesdienstbesucher aufhorchen. Als Nachwuchspriester Jud nachschaut, liegt darin reglos der blutüberströmte Monsignore Jefferson Wicks. Nur einen Augenblick zuvor hatte der langmähnige Prediger auf der Kanzel gegen das moderne Sodom & Gomorrha gewütet, bevor er sich für eine Pause in die Kammer zurückzog. Niemand konnte also ungesehen in diesen offenen Raum gelangen, um den Monsignore zu ermorden. Doch weil der rabiate Gottesmann und der junge Priester sich bekanntermaßen spinnefeind waren, ist Jud für die örtliche Polizei der Hauptverdächtigte. Den eilends hinzugezogenen Privatdetektiv Benoit Blanc interessiert aber zuvorderst, was es mit diesem Klirren auf sich hat.
In seinem dritten »Knives Out«-Krimi wählt Regisseur Rian Johnson eine katholische Kirche auf dem Land als Schauplatz. Das ist, nach dem plüschigen Herrenhaus à la Agatha Christie im ersten und dem effekthascherisch futuristischen Gebäude auf einer Mittelmeerinsel in Nummer zwei eine ungewöhnlich stimmungsvolle Variante. Schön auch, dass zu Beginn ein Charakterdrama angetäuscht wird. Denn bevor nach 40 Minuten der erste Mord geschieht, darf Ich-Erzähler Jud, der trotz seiner Jugend eine bewegte Vergangenheit hat, geruhsam darlegen, wie er sich mit Jefferson und dessen Anhängern anzufreunden versuchte. Auch die stilbewusste, an Edgar Allan Poe orientierte Gothic-Atmosphäre mit einem Mausoleum im Wald, einer Wiederauferstehung und Gesprächen über Schuld, Sühne und den rechten Glauben zieht einen anfangs in den Bann.
Johnson beweist in seinem neuen postmodernen Murder Mystery, dass er Krimiklassiker aus dem Effeff kennt. Neben Poe bezieht er sich nun explizit auf den Krimi »Der verschlossene Raum« von John Dickson Carr, den Jeffersons Jünger im Buchclub lesen. Auch diese Fortsetzung prunkt mit einem namhaften Ensemble. Neben Daniel Craig mit Dreitagebart sind mit Jeremy Renner und Josh Brolin zwei Marvel-Superhelden dabei, außerdem eine totenkopfhafte Glenn Close als Pfarrdienerin.
Nicht der Krimi-, aber der Netflix-Tradition verpflichtet ist die politische Färbung der Handlung, diesmal in Gestalt von Wutbürger Jefferson, der für die Alt-Right-Bewegung steht. Josh O'Connor als sein Gegner ist dagegen so sanft und schnuckelig wie der Priester der Serie »Fleabag« – und dieser, Andrew Scott, ist als verkrachter Schriftsteller ebenfalls mit von der Partie.
Gott sei's geklagt wird der Krimiplot auf zweieinhalb Stunden überdehnt und erweist sich leider als kompliziert um der Kompliziertheit willen. Nicht nur Charaktere wirken wie mit heißer Nadel gestrickt. Wer das Whodunnit nicht gleich erahnt hat, steigt angesichts hektisch servierter Enthüllungen beim Mitraten irgendwann aus. Unterhaltsam ist das aufwendige und anspielungsreiche Spektakel zwar durchaus. Doch zu Krimiklassikern verhält es sich, wie der schlaumeiernde Jud bezüglich seiner Kirche sagt, »wie Disneyland zu Notre Dame«.




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