Kritik zu Lenin kam nur bis Lüdenscheid

© W-film

2008
Original-Titel: 
Lenin kam nur bis Lüdenscheid
Filmstart in Deutschland: 
05.06.2008
V: 
L: 
88 Min
FSK: 
6

Erinnerungen an eine Kindheit in Solingen: Die Eltern waren 68er und die Weltrevolution stand vor der Tür

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Die kindliche Fantasie kann Liedverse auf die herrlichste Weise missverstehen. Axel Hacke demonstriert das in seinem Buch »Der weiße Neger Wumbaba«, dessen Titel die hübsch surrealistische Umdichtung des Verses »Der weiße Nebel wunderbar« aus dem »Abendlied« von Matthias Claudius ist. »Lenin kam nur bis Lüdenscheid« hat seine schönsten und erhellendsten Passagen dort, wo gezeigt wird, wie sich die kindliche Fantasie Politparolen und Ideologeme der 68er Eltern eigenwillig einverleibt. Da wird der bärtige Tiervater Brehm in die Galerie der »Rauschebärte« Marx und Engels eingereiht, da erscheint – die Eltern waren Sympathisanten der DDR-hörigen DKP – die DDR als paradiesischer Zoo, und der Sieg der DDR über die BRD bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 wird zur ersten Etappe der glorreichen Weltrevolution.

Erzählt wird das in einem »kindlichen« Tonfall, der den Duktus des Onkels aus der »Sendung mit der Maus« aufgreift und ihn weit ins Ironisch-Kabarettistische treibt. Dieser Tonfall ist – etwas pathetisch gesagt – Glanz und Elend des Films. Er funktioniert, wenn der Ich-Erzähler das kindliche »Weltbild « beschreibt, klingt aber hohl und falsch für die Erzählungen aus Jugend- und Erwachsenenalter; er kollidiert vor allem mit den konventionellen dokumentarischen Passagen, wenn der 1964 in Solingen geborene Erzähler – Richard David Precht, dessen autobiografisches, 2005 erschienenes Buch dem Film zugrunde liegt – ins Bild kommt und Gespräche führt: mit dem Vater, Geschwistern, einem Ex-DKP-Funktionär, dem Mathematiklehrer. Da wird die »kindliche« Erzählweise zum beliebigen, pointensuchenden Anekdotismus, der sich um die genaue Schilderung der Biografie drückt.

Man will es schon genauer wissen, wie das Leben in so einer Familie aussah, in der Coca Cola und »Raumschiff Enterprise« auf dem Index standen, in der es zwei vietnamesische Adoptivkinder gab, wo die Kinder zum DKP-Pfingstlager geschickt wurden. Was ist in diesem sektenhaft-ideologischen Universum mit den Seelen der Kinder tatsächlich geschehen? Aus Andeutungen in den Gesprächen kann man erahnen, dass da recht tiefgehende, nicht verheilte Wunden zurückgeblieben sind. Es bleibt zu viel im Unausgesprochenen. Warum kommt die Mutter nicht zu Wort?

Man will auch genauer wissen, was es mit dieser »68er Bewegung« auf sich hatte. Regisseur André Schäfer, der jede Menge kurioses Archivmaterial zusammengeholt hat, stellt seinen Protagonisten als Kind von »68er Eltern « dar und auch irgendwie als Kind dieses gesellschaftlichen Aufbruchs, der sich vom Antivietnamkriegsprotest bis zur Gründung der Grünen und den Demonstrationen gegen Atomkraftwerke fortgeschrieben hat. Er vergisst, deutlich zu machen, dass die DKP-Sympathisanten nur einen kleinen Teil im Spektrum der »68er Bewegung« darstellten, und zwar den traurigsten, »vernageltsten« Teil, der sich in seiner ideologischen Verbohrtheit gegen den wichtigsten Impuls der Bewegung, nämlich den antiautoritären, stellte. Der ironische Tonfall des Films, der gestisch das Antiautoritäre für sich vereinnahmt, kaschiert diesen Aspekt und wird auch deshalb falsch.

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