Kritik zu How to Be Normal und der Versuch, sich selbst zu verstehen
Das mutige Spielfilmdebüt mit einem Overkill an popkulturellen Zitaten wagt neue Darstellungsweisen für psychische Erkrankungen, ohne diese zu verharmlosen
Pia (Luisa-Céline Gaffron) fühlt sich matschig. Oder eher so, als klebe ihr eine fettige Scheibe Käse im Gesicht, buchstäblich. Gerade wurde sie nach einem längeren Aufenthalt aus der geschlossenen Psychiatrie entlassen und versucht nun, wieder in ihrem früheren Leben und Alltag anzukommen. Was genau dazu geführt hat, dass Pia eingewiesen wurde, und wie ihre konkrete Diagnose lautet, bleibt unklar. Paranoia, manische Phasen und eine Psychose scheinen aber Teil ihrer Krankengeschichte zu sein. Wieder zu Hause offenbart sich jedoch recht schnell, dass sich die vermeintlich »normale« Welt auch dem klinisch Gesunden bei genauerer Betrachtung als absurd, kaputt und bisweilen ziemlich surreal präsentiert.
Das liegt nicht nur daran, dass Pia aufgrund ihrer Vorgeschichte und bei der Vielzahl an Pillen, die sie jeden Morgen einwerfen muss, eine unzuverlässige Erzählerin ist. Ihr Vater Klaus (Cornelius Obonya) bringt sie in seiner Druckerei unter, deren Räumlichkeiten den verstörenden Office-Charme der Serie »Severance« umweht. Pia wird in dieser Bürolimbo mit sinnlosen Kopier- und Archivierungsarbeiten beschäftigungstherapiert, beispielsweise soll sie den Digitalisierungsbericht zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz auf Papier ausdrucken. Spätestens als sie fragt, ob es nicht nachhaltiger sei, das Ganze direkt digital zu erledigen, und die Antwort lautet: 'Das ist hier immer noch eine Druckerei', scheint etwas faul zu sein. Zusätzlich stehen überall Effizienzmanager wie CIA-Agenten in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen herum, um die Abläufe zu beobachten. Wer würde da nicht paranoid werden? Zu Hause versucht Pias Mutter (Elke Winkens) verzweifelt, zu Pia vorzudringen, bis sie selbst die Vorzüge sedierender Medikation zu schätzen lernt, und dann stolpert Pia auch noch über ihren Ex Joni und seine neue Freundin. Angesichts all dessen wirken Pias Fluchten aus dieser abstrusen und recht unerfreulichen Realität verständlich.
Der österreichische Regisseur Florian Pochlatko inszeniert diese Episoden, bei denen Pia Zeit oder sich selbst in manischen Phasen verliert, mit sehr viel visuellem Einfallsreichtum und popkulturellen Referenzen. Mit schnellen Schnitten, Zeitraffer oder anderen direkten Zitaten verneigt er sich vor Kultfilmen über Psychosen und Schizophrenie wie Darren Aronofskys »Requiem for a Dream« oder David Finchers »Fight Club«. Eine Parallelhandlung entfaltet sich auf dem heimischen TV um eine Mystery-Crime-Serie, in der Harald Krassnitzer seine Paraderolle als »Tatort«-Kommissar Moritz Eisner persifliert. Das wirkt wie eine österreichische Variante von »Akte X«-Reihe trifft »Twin Peaks«-Saga und zieht eine weitere Erzählebene ein, die die Skepsis gegenüber der (filmischen) Realität noch verstärkt.
Im deutschsprachigen Film gab es in den letzten Jahren verschiedene Herangehensweisen an das Themenfeld der psychischen Erkrankungen. Dokumentarisch und um respektvolle Augenhöhe bemüht widmete sich Regisseurin Reinhild Dettmer-Finke in »Irre oder der Hahn ist tot« (2023) Patient*innen in einer Psychiatrie. Tim Ellrichs »Im Haus meiner Eltern« nähert sich aktuell in spröden Schwarz-Weiß-Bildern, aber dennoch empathisch den Folgen einer jahrzehntelang unbehandelten Schizophrenie für den Erkrankten und dessen Familie an. »How to Be Normal« wählt den filmischen Overkill, ohne jedoch psychische Erkrankungen zu verharmlosen. Pias Verzweiflung, die Nebenwirkungen der Medikamente und die Hilflosigkeit ihrer Eltern und Freund*innen über ihren Zustand verhindern, dass die Erkrankung oder Pia selbst als coole Heldin verherrlicht werden. Auch die unmittelbaren Folgen, die das Absetzen der Medikamente für Pia hat, werden nicht ausgespart. Vor allem auf der bildgestalterischen Ebene gelingt es Pochlatko, innovative und vorstellbare Entsprechungen für psychotische Zustände zu finden. Obwohl nicht alle diese Einfälle funktionieren, erzählt sein mutiges Spielfilmdebut auch davon, dass unsere ach so stabile Realität manchmal ziemlich irrational daherkommt.
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