Kritik zu Garderie Nocturne – Night Nursery

OmeU © Berlinale/Arsenal Distribution

2021
Original-Titel: 
Garderie Nocturne – Night Nursery
Filmstart in Deutschland: 
06.01.2022
L: 
67 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Moumouni Sanous dokumentarisches Langfilmdebüt begleitet drei Frauen aus Burkina Faso auf Augenhöhe, die als alleinerziehende Mütter und Sexarbeiterinnen ihr Leben meistern

Bewertung: 3
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Bobo-Dioulasso, die zweitgrößte Stadt in Burkina Faso, Westafrika. Zwei Frauen stylen sich für die Arbeit, frisieren sich sorgfältig, ziehen sich schick an. Dann bringen sie ihre Kinder zu Madame Coda, die während ihrer Schicht auf sie aufpassen wird. So weit so alltäglich. Aber es ist bereits später Abend. Die Kinder schlafen schon, als sich die Frauen auf den Weg machen. Denn sie sind Sexarbeiterinnen und verdienen ihr Geld nachts auf dem sogenannten »Black«, dem Vergnügungsviertel der Stadt. Die Exposition erklärt das in wenigen Minuten, ohne Dialog oder Offkommentar. Allein die Beobachtung der alltäglichen Routine skizziert das Leben der alleinerziehenden, berufstätigen Mütter, die ihre Kinder unterbringen müssen, wenn keine Kita mehr geöffnet hat. 

In Bildsprache und Herangehensweise ist »Garderie Nocturne« die Antithese zu Elke Lehrenkrauss' »Lovemobil«. Keine Hochglanzbilder, keine dramatische Lichtsetzung, keine Inszenierung. Filmemacher Moumouni Sonou lebt selbst in Bobo-Dioulasso und hat über Jahre das Vertrauen von Adam, Odile und Fatim gewonnen. Er filmt sie nicht nur bei der Arbeit, sie lassen ihn auch an sehr intimen, privaten Situationen teilhaben: wie sie schlafen, ihre Kinder stillen oder von unangenehmen Begegnungen mit gewalttätigen Freiern erzählen. Im Kontrast zu dieser filmischen Nähe von Pierre Lavals Bildgestaltung steht eine gewisse erzählerische Distanz, da der biografische Background ausgespart bleibt. Warum die Frauen als Prostituierte arbeiten (müssen) ist kein Teil der Geschichte, die erzählt wird. 

Einerseits ist »Garderie Nocturne« dadurch wertneutral und vorurteilsfrei. Andererseits birgt der fehlende Kontext das Risiko, den Lebensweg der Frauen fälschlicherweise als frei gewählt und selbstbestimmt zu interpretieren. Wie Sanous Regiekommentar verrät, schien Prostitution für seine Protagonistinnen die einzige Möglichkeit, einer Verheiratung zu entgehen. Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder Afrikas. Laut Terre des Femmes sind patriarchale Traditionen stark verankert, Frauen den Männern gesellschaftlich untergeordnet und für Haus- und Care-Arbeit verantwortlich. Ledig oder als Alleinerziehende zu leben, ist für Frauen gesellschaftlich geächtet, Polygamie und die Verheiratung minderjähriger Mädchen, die früh eigene Kinder bekommen, sind vor allem in ländlichen Regionen weit verbreitet. 

»Garderie Nocturne« blendet das bewusst aus und konzentriert sich darauf, wie mutig und autark diese Frauen sind. Sie leben in einer kleinen Wohngemeinschaft, sorgen füreinander und ihre Kinder. Teil ihres solidarischen Netzwerks ist auch Madame Coda, die sie nicht verurteilt und seit Jahrzehnten Kinder für Sexarbeiterinnen betreut. Männer und Väter sind hier abwesend, keine der Frauen scheint sie zu vermissen. Sanous Langfilmdebüt porträtiert Frauen auf Augenhöhe, die sich für ein hartes Leben entschieden haben, das ihnen alles abverlangt, aber auch ein gewisses Maß an Autonomie sowie Momente des Glücks und der Freiheit ermöglicht.

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