Kritik zu Eine Perle Ewigkeit

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Für ihre eigenwillige Geschichte eines vererbten Traumas gewann die peruanische Regisseurin Claudia Llosa den Goldenen Bären auf der diesjährigen Berlinale

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Wovon man sich keine Bilder machen kann, davon muss man singen. Während die Leinwand noch schwarz ist, erklingt die Stimme einer Frau. Erst nur in vagen Andeutungen, dann in immer deutlicheren Worten ersteht in der Dunkelheit eine Geschichte über Männer, die ein Dorf überfielen und die Frauen vergewaltigten. Aufblende: Eine singende alte Frau liegt mit geschlossenen Augen in einem Bett, umsorgt von einer jüngeren. Kurz darauf stirbt die Alte, ihr Leid aber bleibt bestehen. Es ist auf ihre Tochter Fausta (Magaly Solier) übergegangen.

Davon jedenfalls ist Fausta überzeugt, denn nach einem alten peruanischen Mythos überträgt sich die Angst der Mütter, die Leid und Gewalt erfahren haben, auf ihre Töchter. Wie bei vielen Ritualen und Festen im zweiten Film von Claudia Llosa (»Madeinusa«, 2006) ist man sich bei diesem Glauben nie sicher, ob er wirklich existiert oder ob er eine filmische Erfindung ist. Sicher ist nur, dass er Faustas Wesen dominiert. Um Männer macht sie einen weiten Bogen, sie spricht wenig, geht niemals allein spazieren und betrachtet die Welt mit dem Blick eines untergetauchten Nilpferds. In ihren Unterleib hat sie sich zum Schutz eine Kartoffel gesteckt, die, wie der Arzt bei einer Untersuchung feststellt, dort langsam Keime treibt.

Die Kartoffel und der einbalsamierte, in Tücher gehüllte Leichnam der Mutter, den Fausta in deren Heimatdorf beerdigen möchte, bilden den einen Pol der Erzählung, unsichtbar, aber wie das Trauma selbst sehr wirkmächtig. Da die Überführung teuer ist, aber der Onkel, bei dem Fausta jetzt lebt, die Leiche bis zur Hochzeit seiner Tochter aus dem Haus haben möchte, nimmt Fausta eine Stellung als Hausmädchen bei einer reichen Pianistin an. In der Begegnung mit der von ihrem Gesang faszinierten Hausherrin, die ihr für jedes gesungene Lied eine Perle verspricht, und mit einem schweigsamen Gärtner, der Faustas Eigenheiten akzeptiert, ohne ihr etwas aufzwingen zu wollen, findet sie langsam einen Weg zurück in die Welt.

Den Gegenpol dieser Erzählung eines langsamen Erwachens bilden die vielen Hochzeitsfeiern, die von der Familie des Onkels organisiert werden. Diese virtuos und einfallsreich inszenierten Feste sind Spektakel der Sichtbarkeit, bei denen es gerade nicht um das Verborgene geht, sondern um das Zeigen von allem, was man hat: Emotionen, Freunde, Besitztümer. In einer tollen Prozession präsentieren die Gäste tanzend die Hochzeitsgeschenke eines Brautpaares, Matratze, Fernseher, Bügelbrett, bei einer Massenvermählung küssen sich Dutzende Frischvermählte gleichzeitig, und vor grell bemalten Stellwänden in der Wüste lächeln die Familien in die Kamera: »Cheese!«

Auch wenn die Entwicklung Faustas in der zweiten Hälfte zunehmend mit konventioneller Musik und etwas allzu gesucht poetischen Einstellungen garniert ist, die Vielzahl origineller Bilder und kontrastierender Stimmungen bewahrt den Film vor jeder falschen Sentimentalität. Beerdigung und Hochzeit, Kartoffel und Perle, Schweigen und Gesang, Grab und Swimmingpool, Todessehnsucht und Lebensfreude – alle diese Dinge finden in diesem eigenwilligen Werk zu einem schönen Gleichgewicht.

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