Kritik zu Eine Frage der Würde – Blaga's Lessons

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Stefan Komandarevs Film gewann in Karlovy Vary nicht nur den Hauptpreis, auch seine Hauptdarstellerin Eli Skorcheva wurde zu Recht ausgezeichnet für die Rolle einer rechtschaffenen Witwe, die sich mit Verbrechern einlässt

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Es bleiben 40 Tage, bis ihr Mann begraben sein muss. So lange verweilt nach christlich-orthodoxem Glauben die Seele von Verstorbenen noch auf der Erde. Der Friedhofsverwalter, der wie ein Immobilienmakler redet, preist ihr die ideale Grabstätte an. Allerdings sei sie sehr begehrt, nach der Anzahlung müsse rasch der Rest der Summe folgen. Dieser Mann hat gelernt, marktwirtschaftlich zu argumentieren.

Seine Kundin ist keine auf Anhieb einnehmende Person. Die pensionierte Lehrerin hat sich ihre strenge Wesensart bewahrt. Dass Blaga in ihrem Beruf gut, aber wenig beliebt gewesen sein muss, spürt man während der Privatstunden, in denen sie eine junge Syrerin auf die Prüfung vorbereitet, die sie für die bulgarische Staatsbürgerschaft bestehen muss. Unerbittlich ahndet sie jeden Fehler; es dauert lange Filmminuten, bis sie ihre Schroffheit ablegt und ein ermutigendes Wort findet. Stefan Komandarev begleitet sie bis dahin auf ihren einsamen Wegen mit einer Schaulust, die vorerst noch keine Sympathie schüren muss.

Vielmehr nimmt er innigen Anteil an ihrem Leben, das nach dem Tod ihres Mannes eherne Disziplin fordert. Während der Friedhofsverwalter den Preis für das Grab mit schamlosen Manövern in die Höhe treibt, wird sie mit noch erbarmungsloseren Methoden der Bereicherung konfrontiert: Sie geht einem sogenannten »Schockanruf« auf den Leim, der sie in wenigen Minuten um ihr Erspartes bringt. Die Masche ist haarsträubend, aber Komandarev inszeniert so eindringlich, dass man Blagas Panik und Gutgläubigkeit nachvollziehen kann. 

Später bringt sie den Betrug zur Anzeige, aber die Polizei macht ihr keine Hoffnung, man bittet sie jedoch, bei einem Präventivseminar zu sprechen. Das empfindet sie als Demütigung, der weitere folgen: Die Bank hält eine Frau in ihrem Alter nicht für kreditwürdig; ein Kredithai entpuppt sich als ehemaliger Schüler, der Groll gegen sie hegt. Dann erinnert sie sich an zwei Dinge aus dem Seminar: Die Betrüger durchkämmen auf der Suche nach Komplizen Stellengesuche im Internet nach Leuten, die ein Auto besitzen und flexibel sind. Unter falscher Identität gibt Blaga eine Annonce auf, die rasch beantwortet wird. Und so findet sie sich selbst auf der Seite wieder, die verängstigte Rentner ums Ersparte bringt.

Einer ähnlichen Ausgangssituation würde man zuallererst das Potenzial für eine Komödie drolliger Selbstermächtigung zutrauen. Komandarev und sein Co-Autor Simeon Ventsislavov hingegen schildern ein Kräftemessen mit der Verworfenheit. Ihren ersten Einsatz nimmt Blaga als eine Prüfung an, die es zu bestehen gilt. Sie muss einen kühlen Kopf bewahren in einer Kaskade unwägbarer Situationen. Blaga besteht dank jener Selbstbeherrschung, die wir bereits an ihr kennenlernten.

Bei ihrer Initiation zeigt die Kamera Blaga zunächst nur im Profil; ihr Gesichtsausdruck bleibt verschlossen, während sie vom Opfer zur Täterin wird. Diskret weiht Darstellerin Eli Skorcheva das Publikum in die Konflikte ein, die Blaga in sich austragen muss. Die Frau, die ihr Leben lang Regeln befolgte, ist brüsk zu Taten fähig, die sie sich niemals hätte vorstellen können. 

»Eine Frage der Würde« ist ein nicht nur packender, sondern auch bekümmerter Thriller. Seine Protagonistin wird sich selbst fremd. Sie hat niemanden, dem sie sich anvertrauen kann, weder ihrem Sohn, der in den USA lebt und ihr fortwährend Vorwürfe macht, noch dem hilfsbereiten Ex-Polizisten, der ebenfalls auf die Masche der Telefonbetrüger hereinfiel. Nur zwischen Blaga und der aufmerksamen Schülerin entsteht eine sachte Nähe, als sie ihr den Unterschied zwischen »Heim« und »Haus« erklärt. Die Lage für Blaga wird derweil riskanter, die Drohungen ihrer Auftraggeber massiver. Die Schlinge zieht sich immer weiter zu – bis zu einem Finale, das Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mehr loslassen wird.

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