Kritik zu Die zärtliche Revolution

© W-film

2024
Original-Titel: 
Die zärtliche Revolution
Filmstart in Deutschland: 
14.08.2025
V: 
L: 
93 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Betroffene sind eigentlich alle: Annelie Boros zeigt in ihrem Dokumentarfilm Menschen bei der Care-Arbeit und plädiert für eine Umwälzung besonders für/von Menschen mit Handicap

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Die Neuordnung der Alterspflege und der Mütterrente steht gerade auf der politischen Agenda. Beide Bereiche zählen zur sogenannten Care-Arbeit – einem aus dem angelsächsischen Feminismus ins Deutsche eingewanderten Begriff für generell unterbezahlte Tätigkeiten, bei denen es nicht um die Mehrung von Kapital, sondern um menschliche Fürsorge geht (oder gehen sollte). Erweitert steht der »Care«-Begriff für eine Gesellschaft, in der Werte gegenseitiger Zuwendung Entscheiden und Handeln leiten.

In diesem Sinn bringt auch Amelie Boros' Film Personen von unterschiedlichen Fronten des Kampfes für ein neues Konzept von »Pflege« in Deutschland zusammen. Alfons baut neben der persönlichen Betreuung seines schwerbehinderten Sohns ein integratives Hausbootprojekt auf. Samuel, selbst im Rollstuhl, hat zur eigenen Betreuung FreundInnen eingestellt und sieht dies als »Chance für tiefe innige Beziehungen«; er wirbt auch für ein selbstbestimmtes Wohnprojekt gegen den gewerblichen Health Care Market. Božena hat viele Jahre als 24-Stunden-Pflegerin in Deutschland und der Schweiz gearbeitet und engagiert sich nun in der Gewerkschaftsinitiative »Respect« für bessere Arbeitsbedingungen. Dann ist da Amanda, deren Familie aus der ökologisch zerstörten Bergbaustadt La Oroya in Peru nach Deutschland kam und nun mit spirituellen Praktiken ökologische Aspekte in den Film einbringt. 

Die vier werden in ihrem Alltag begleitet, lesen aber auch vorbereitete »Briefe« an die Regisseurin in die Kamera, in denen sie von ihrem Leben und ihren Einstellungen berichten. Dazu kommen Kommentare der Filmemacherin selbst, die bei der Planung des Films vom Suizid einer Mitbewohnerin getroffen wurde. Nun fließt diese krasse Erfahrung mit Überlegungen zur persönlichen und gesellschaftlichen Verantwortung für die als bipolar diagnostizierte Freundin als Rahmung in den Film ein. Dessen Dramaturgie ist sonst antiklimaktisch angelegt: Wenn etwa Samuels Konzept der Kopplung von Freundschaft und Pflege in praktische Bedrängnis gerät, weil eine Pflegerin irgendwann mit der Doppelrolle hadert, wird das zwar mit einem Gespräch im Film dargestellt, doch bald wieder verlassen für andere Schauplätze der titelgebenden Zärtlichkeit.

Diese narrative Entspannung ist vom Grundgedanken sympathisch, wird aber verstärkt durch die Abwesenheit konzeptueller Konflikte zwischen den Personen/Positionen des Films, die sich um das Motto »Zwischen Zärtlichkeit und Wut« versammeln. Wenn Samuel für eine Care-Revolution gegen die Nützlichkeitsmentalität kämpft, deckt sich das fast bruchlos mit dem Anliegen der Autorin, »in einer Kultur der Fürsorge (zu) leben«, und Alfons' Traum von einer »friedlichen Welt ohne Ehrgeiz und Egoismus«. Dabei ist die Naivität, die Anton dieser Utopie selbst einräumt, weniger das Problem als der (von der kontemplativen Musik der Künstlerin Polygonia verstärkte) Mangel an innerer Spannung im virtuellen Kollektiv. In den intendierten kollektiven Projekten könnten die »naiven« Träume ja zumindest teilweise konkrete Gestalt annehmen. Mehr Einblick in diese Praktiken hätte dem Film deshalb sicherlich gutgetan.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt