Kritik zu Die Gewerkschafterin

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Wirtschaftskrimi, Paranoia-Thriller und Psychodrama: Ein Film über den wahren Fall der Maureen Kearney, einer unbequemen Aktivistin, die überfallen und später angeklagt wurde, die Straftat vorgetäuscht zu haben

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Nein, sie gibt nicht auf. Sie wird sich nicht einschüchtern lassen von den Männern in den Anzügen. Sie, die Gewerkschafterin, die mit ihren Ansprüchen nervt. Weiterbildungskurse für Frauen, die diese zu Führungskräften qualifizieren sollen?! Hat man(n) so was schon mal gehört?! Wo soll das noch hinführen?!

Und wieder: Nein, wir befinden uns nicht in einer grauen Vorzeit, in der das Wort Emanzipation im Fremdwörterbuch nachgeschlagen werden muss. Wir schreiben das Jahr 2011, in dem der vorwiegend im Bereich von Nukleartechnikanlagen tätige französische Konzern Areva einen neuen Chef bekommt. Luc Oursel löst Anne Lauvergeon ab, die bei der Politik in Ungnade gefallen ist, und der Gewerkschaftsvertreterin Maureen Kearney weht sogleich ein deutlich ungemütlicherer Wind entgegen.

Der Film »Die Gewerkschafterin« von Jean-Paul Salomé basiert auf dem 2019 erschienenen Tatsachenbericht La syndicaliste der Investigativjournalistin Caroline Michel Aguirre, der den Fall einer Frau nachvollzieht, die sich nicht zum Opfer machen lässt, obwohl sie es in gleich mehrfacher Hinsicht wird. Am 7. Dezember 2012 nämlich wird Kearney in ihrem Haus in Versailles überfallen, sexuell attackiert und verletzt; bald steht der Verdacht im Raum, dass es sich dabei um einen Einschüchterungsversuch handelt, der im Zusammenhang mit Arevas geheimen Geschäften mit der chinesischen Atomindustrie zu sehen ist, die wiederum Kearney aufzudecken gedroht hatte.

Ein Wirtschaftskrimi mit Anleihen beim Polit-Paranoia-Thriller aber ist »Die Gewerkschafterin« nur am Rande. Die aufgerufenen Genres bilden lediglich den Rahmen, an den sich die detaillierte Analyse einer Demütigung besonders gut anschmiegen kann. Denn was passiert, nachdem Kearney den Überfall zur Anzeige bringt? Es dauert nicht lange, dann wird gegen sie ermittelt, wegen »Vortäuschung einer Straftat«.

Salomés Regiegestus bleibt nüchtern und unaufgeregt, während er die von Misogynie durchwirkten Abläufe nachvollzieht, die als »Affaire Maureen Kearney« bekannt werden und sich bis tief ins Jahr 2018 hinziehen. Ebenso kontrolliert bleibt Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die in der Titelrolle ihre Paradeperformance der zierlich-beinharten Frau liefert, ohne sich dabei auch nur einen Funken von Routine zu erlauben. Und so wie Huppert die Charakterisierung Kearneys offen hält, hält Salomé die Spannung eines Genrefilms aufrecht. Ist die Frau womöglich tatsächlich paranoid? Noch während die Zuschauerin den Gedanken denkt, ist er ihr bereits peinlich, tappt sie damit doch in die von Männern am längeren Hebel gestellte Falle, deren Funktionsweise hier so gründlich durchleuchtet wird.

Es ist dies im Übrigen nicht die einzige Lehre, die sich aus diesem so bedrückenden wie notwendigen Film ziehen lässt. Denn tatsächlich geht es im Kontext des Kampfes um Chancengleichheit und Machtumverteilung nicht nur darum, sich nicht zum Opfer machen zu lassen. Viel wichtiger noch ist es, kein GUTES Opfer zu sein.

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