Kritik zu Die feinen Unterschiede

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Eine junge Frau verschwindet mit Freunden in der Berliner Nacht– im Spielfilmdebüt von Sylvie Michel bringt das gesellschaftliche Differenzen zwischen Migranten und Deutschen, Arm und Reich, Unbekümmert und Besorgt an die Oberfläche

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Drei Jugendliche ziehen abends zusammen los, am Morgen sind sie spurlos verschwunden. Was der Anfang eines Krimis sein könnte, der Grundstein für ein schreckliches Verbrechen, geht Sylvie Michel in Die feinen Unterschiede eher aus der Alltagsperspektive an: Wie oft haben Eltern um ihre Kinder gebangt, die zwar Handys haben, aber nie erreichbar sind, wenn man sich Sorgen macht?

Arthur ist 17 und lebt gerade bei seinem Vater in Berlin, während seine Mutter beruflich in Amerika weilt. Vater Sebastian (Wolfram Koch), ein Arzt, der sich auf künstliche Befruchtungen spezialisiert hat, ist spürbar ungeübt im Umgang mit dem Jugendlichen. Hin und her gerissen zwischen seinen eigenen beruflichen und privaten Bedürfnissen und den väterlichen Pflichten, will er dem Sohn auf Augenhöhe begegnen und kämpft doch immer wieder mit elterlichen Ansprüchen. Als Arthur und seine Freundin Julia abends gemeinsam losziehen, nimmt er das locker, ganz im Gegensatz zur bulgarischen Raumpflegerin Jana, deren Tochter Vera sich den Kids spontan anschließt. Als Jana am nächsten Morgen völlig aufgelöst in der Praxis ihres Arbeitgebers Sebastian auftaucht, weil ihre Tochter nachts nicht nach Hause gekommen ist, beginnt eine reichlich sprunghafte Suche nach dem Trio. Diese ganz normale Zerreißprobe für jeden Vater und jede Mutter wird hier zugespitzt, weil es keinen Alltag gibt, auf den die Eltern aufbauen können. Dabei zeigt Sylvie Michel immer wieder ein feines Gespür für die Gratwanderungen des Gefühls, hält aber zugleich die Zügel der Dramaturgie zu locker. Immer wieder verheddern sich ihre Helden im Gestrüpp der Emotionen, treffen unablässig unplausible Entscheidungen, reagieren sprunghaft und unberechenbar.

Ursprünglich wollte sie die Geschichte der drei Jugendlichen, die sich in einer langen Nacht verlieren, aus deren Perspektive erzählen. Nach drei Jahren Drehbuchentwicklung ist sie dieser Perspektive entwachsen und hat sich für einen Seitenwechsel entschieden, was schon aus Spannungsgründen eine kluge Entscheidung war, da es dramaturgisch ergiebiger ist, mit den Erwachsenen zu bangen.

Dabei ist nicht ganz klar, auf welche feinen Unterschiede sie im Titel anspielt, die sozialen Unterschiede zwischen dem wohlhabenden Arzt in seiner modernen Designerwohnung und der Raumpflegerin, die mit ihrer Tochter in einer engen Einzimmerwohnung campiert? Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Bulgarien? Oder die unterschiedlichen Erziehungskonzepte zwischen Freiheit und Enge? Dabei bietet der dünne Handlungsbogen wenig Spielraum für Entwicklungen, was dazu führt, dass das Stück ein wenig wie eine Filmhochschulübung anmutet. Obwohl es Sylvie Michel immer wieder gelingt, unterschwellige Gefühle anklingen zu lassen, wirken doch viele der Reaktionen und Ausbrüche unmotiviert und unverhältnismäßig: Während Arthurs Vater unvermittelt von übertriebener Gelassenheit zu drakonischer Autorität wechselt, scheint Veras Mutter zu vergessen, dass ihre Tochter kein Teenager ist, sondern eine volljährige Studentin von 20 Jahren.

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