Kritik zu Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

© Warner Bros.

Der Australier Andrew Dominik versucht sich am ultimativen Spätwestern

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3 (Stimmen: 2)

Der amerikanische Bürgerkrieg ist wahrscheinlich der erste moderne Krieg gewesen. Aus ihm heraus entwickelten sich Strukturen, vor allem in der Politik und im Showgeschäft, die das Leben in der westlichen Welt bis heute bestimmen. Der australische Regisseur Andrew Dominik hat einen ambitionierten Film über jene Zeit nach dem Sezessionskrieg gemacht - über die Pioniertage der Moderne.

Im Mittelpunkt dieses psychosozialen Dramas steht Jesse James, der legendäre Outlaw, den Dominik und Brad Pitt, der hier auch als Produzent fungiert, als ersten amerikanischen Gangster und als archetypisches Pop-Idol sehen. Dominik scheint der richtige Regisseur für diese Anatomie eines berühmten, gewalttätigen Falles der amerikanischen Geschichte zu sein, hat er doch sein Debüt mit Chopper (mit Eric Bana) gegeben, dem schonungslosen und vielschichtigen Porträt eines australischen Kriminellen, das geschickt mythische und dokumentarische Stilelemente kombinierte.

Wahrheit und Legende, Mythos und Historie sind auch die Eckpfeiler, zwischen denen sich Dominiks Jesse-James-Film nach einem Roman von Ron Hansen entfaltet. Vielleicht gerade weil Bauten, Ausstattung und Kostüme des Films von großer Authentizität geprägt sind (ein Anliegen unserer Zeit), bleibt Dominiks Jesse ein Jesse von 2007, gesehen als bleiches Endprodukt aller Rebellen seit 125 Jahren, von Che Guevara über Andreas Baader bis zu islamischen Terroristen.

Selten hat man einen so kaputten Jesse im Kino gesehen wie den von Brad Pitt. Ein verbitterter Südstaatler ist er, im hoffnungslosen Kampf gegen die verhassten Yankees und ihren industriellen Fortschritt. An Pitts Jesse ist wirklich nichts mehr zu spüren von der jugendlichen Leichtigkeit eines Tyrone Power aus Henry Kings Interpretation von 1939. Pitt ist eine Western-Noir-Figur, brutal und unberechenbar, von Zweifeln und Schuldgefühlen zerfressen. Nach einem letzten Zugüberfall befindet er sich am Rande des Wahnsinns. Wie ein Geisterreiter zieht er über schneebedeckte Landschaften, getrieben von Paranoia und Verfolgungswahn. In jedem Kumpan vermutet er einen Verräter. Das führt dann auch mal dazu, einen Freund von hinten zu liquidieren - als bizarre Vorwegnahme des eigenen Todes. Gerade auch in sich selbst vermutet Jesse das Böse, er erkennt den Tyrannen in sich. Einmal, auf einem zugefrorenen See, schießt er wie manisch auf sein Spiegelbild im Eis, dieses erstarrte Jesse-James-Image, das die Jahrhunderte überdauern wird. Stets gerötet sind die Augen des Outlaws: als würde der Blutschleier seiner Gewalttaten ihn nie mehr verlassen. Die Besetzung des Jesse mit Brad Pitt ist durchaus ein Coup: weil er die verlorene Unschuld eines amerikanischen Jungen perfekt verkörpert. Und vor allem weil Pitts Star-Image dem angeschlagenen Jesse eine gewisse Aura gibt.

Es ist eine Art apokalyptisches Guerilla-Theater des allgegenwärtigen Misstrauens, das Jesse und seine über das Land verstreute Gang aufführen. Jesses Gegenspieler und seine Nemesis schließlich ist dann auch kein Sheriff oder Pinkerton-Detektiv, es ist nicht mal ein ehemaliger Freund, der die Seiten gewechselt hat. Nein, dieser Antagonist ist der junge Bob Ford, gespielt von Casey Affleck: das enervierende Greenhorn der Gang, das keiner ernst nehmen will. Affleck gibt Bob Ford als brütenden Teenager, als Supernerd und Superfan der allerersten Generation, der die "Wahrheit" über Jesse James eigentlich nur aus zweiter Hand kennt, aus den zahlreichen Schundromanen über die James-Bande. Bob entpuppt sich bald als Reflex auf Jesse, manchmal erscheint er gar als Klon des Gesetzlosen, ein prähistorischer Warhol-Star, der die Berühmtheit sucht und in seiner Sehnsucht sogar mehr Jesse ist, als es Jesse selbst je sein konnte.

Auf alle Fälle will er Teil haben und Teil werden am Original. Als obsessiver Fan will er sich Jesse einverleiben, als gekränkter und gedemütigter Verehrer schließlich will er das Idol zerstören. "Each man kills the things he loves", heißt es bei Fassbinder und Jean Genet - und dieser Song trifft auch auf die Ermordung von Jesse durch Bob Ford zu. Tyrannenmord und Liebesakt zugleich ist das - die Waffe, ein vernickeltes, glänzendes Fetisch-Objekt, ist Bob von Jesse selbst überreicht worden. Als Judas des Wilden Westens wird der tragische Bob Ford zur berühmt-berüchtigten Persönlichkeit, die selbst wieder Nachahmungstätern ausgesetzt ist. Das Zeitalter nicht nur der technischen Reproduzierbarkeit hat begonnen.

Dominiks Film ist voller Panoramen, voll von kalten, morbiden Landschaftsbeschreibungen, wobei die Kamera von Roger Deakins mit lyrischen Schleiern und Unschärfen auch manchmal prätentiös wirkt - als wolle man den ultimativen Spätwestern machen. Im Grunde aber geht es Dominik um Gesichter und Innenleben - mit der Landschaft als Ausdruck dieses Inneren. Der Film ist gewissermaßen ein Mosaik aus innigen und gefährlichen Zwiegesprächen - Dialoge werden zu Duellen, jedes Wort und jedes Räuspern kann tödliche Konsequenzen haben.

Auf drei Gastauftritte sei noch verwiesen, die noch mal die Mixtur aus Pop, Poesie und Politik in Dominiks manchmal auch etwas angestrengt wirkendem Film bestätigen. Der gute alte Sam Shephard spielt Jesses Bruder Frank, einen Veteranen, abgeklärt bis zum Überdruss. James Carville, einst spiritus rector in Clintons Wahlkampf, gibt einen zwielichtigen Gouverneur. Und Nick Cave, der auch die Musik zum Film geschrieben hat, tritt am Ende als Bänkelsänger mit dem Jesse-James-Lied auf - eine Witzfigur nur, weil niemand die Wahrheit über Jesse James und Bob Ford wissen kann.

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