Kritik zu Der Geschmack der kleinen Dinge

© Neue Visionen Filmverleih

Nichts weckt die Lebensgeister besser als japanische Ramen, wie auch ein Starkoch auf Suche nach gastronomischer Erleuchtung herausfindet: eine nostalgische Gastrokomödie mit Gérard Depardieu als Gourmet in der Krise

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Missmutig lässt Meisterkoch Gabriel Carvin die Verleihung des dritten Sterns über sich ergehen, barsch kommandiert er seine Mitarbeiter, besonders seinen ältesten Sohn, in seinem Gourmetlokal herum. Noch am Abend nach der Preisverleihung flüchtet Ehefrau Louise zu ihrem Liebhaber, just jenem Restaurantkritiker, der Gabriel auszeichnete. Gabriel gilt als der beste Koch Frankreichs, doch die Arbeit hat ihn aufgefressen, sein Herzinfarkt ist erwartbar. Nach seiner Bypassoperation reist er Hals über Kopf nach Japan. Denn er hat sich dank der Intervention eines alten Freundes ­(Pierre Richard) an den Geschmack von etwas erinnert, mit dem ihm vor Jahrzehnten ein japanischer Koch den ersten Preis in einem Wettbewerb wegschnappte. Auch für seine Angehörigen hat sein Weggang heilsame Wirkung.

Nach seinem Vorgängerfilm »Parisiennes«, in dem eine Japanerin auf der Suche nach Erleuchtung nach Paris reiste, vertauscht Regisseur Slony Sow die Blickrichtung. In zwei parallelen Handlungssträngen zeigt er einerseits die Entwicklung in Carvins noblem Restaurant, konzentriert sich aber auf Otaru, eine Küstenstadt in der Nähe von Sapporo, wo dem depressiven Koch wieder Appetit auf das Leben beigebracht wird. 

Wie von französischen Provinzfilmen gewohnt, in denen die verborgenen Idyllen des jeweiligen Drehortes in die Handlung einfließen, so auch in Fernost: wenn der einstige Spitzenkoch Morita dem Franzosen originelle Ecken und Menschen zeigt, wird die kleine Komödie zum verschämten Werbefilm und erinnert an Doris Dörries Japanfaszination. 

Gérard Depardieu ist ein wunderbarer Geschmacksverstärker dieses culture clash. Wenn er wie Godzilla durch die Straßen stampft, sich in Schlafkabinen quetscht, Nudelküchen fast ganz allein ausfüllt und auf höfliche Japaner unbeirrt auf französisch einredet, hat das stets einen Hauch von Slapstick. Depardieu, der ikonische Trinker und Vielfraß, der im Drama »Vatel« einen legendären Koch am Hofe des Sonnenkönigs verkörperte und bereits 1990 in »Green Card« als Apologet von Steak, Butter und Rotwein ein weltweites Publikum bezirzte, spielt sich quasi selbst: Ruf ruiniert, gänzlich ungeniert. Bald fragt man sich mit angehaltenem Atem, wie weit er in seiner Selbstentblößung zu gehen bereit ist. Nackt im Schwitzbad, betrunken im Bademantel durch die verschneite Stadt irrend, demonstriert er die Narrenfreiheit eines Stars auf Selbstzerstörungskurs. 

Depardieu ist die heilige Kuh und zugleich das Problem dieses Films, denn seine Mitspieler und ihre Geschichten bekommen zu wenig Raum. Angesichts des alles übertönenden Umami von Depardieu wird der Erzeugung anderer Geschmacksnoten kaum Zeit gewidmet. Umami ist im Film eine Brühe aus Knochen und Fleisch, die in etwas billiger Metaphorik als Ursuppe gedeutet wird. Heimat, Tradition, Terroir, Nestwärme, Familie: alles muss in den Topf, begleitet von Kalendersprüchen à la »Männer arbeiten zu viel«. So sympathisch die einzelnen Zutaten sind, so ist das Ergebnis doch mehr Maggi als kulinarische Magie.

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