Kritik zu Das Mädchen und die Spinne

© Salzgeber

Die Regie führenden Zwillingsbrüder Ramon und Silvan Zürcher verfeinern ihren Stil des lyrischen Realismus in dieser Geschichte über einen Umzug, der zwei Freundinnen trennt

Bewertung: 5
Leserbewertung
4.5
4.5 (Stimmen: 2)

Lisa zieht um. Sie hat eine kleine Wohnung für sich gefunden und verlässt die WG, in der sie zuletzt zusammen mit Mara und Markus gelebt hat. Eigentlich ein ganz alltäglicher Vorgang. Dennoch entwickelt dieser Umzug in Ramon & Silvan Zürchers zweitem Spielfilm »Das Mädchen und die Spinne« eine Dynamik, die nicht nur das Leben von Lisa und ihren Mitbewohnern durcheinanderwirbelt. Zwei Tage beobachten die Zwillingsbrüder ihre Figuren und spinnen dabei ein dichtes Netz widersprüchlichster Haltungen und Emotionen.

Schon in »Das merkwürdige Kätzchen«, ihrem ersten langen Film, haben Ramon und Silvan Zürcher eine eigene Filmsprache für Alltägliches gefunden. Ihre meist starren Einstellungen, die häufig aus ungewöhnlichen Perspektiven gefilmt waren, zogen das Publikum in ein komplexes familiäres Geflecht hinein. Das Chaos eines typischen Familientreffens spiegelte sich in Bildern, die ungeschminkt von all den kleinen Gemeinheiten und en passant zugefügten Verletzungen erzählten, die Teil eines jeden Familienlebens sind und manchmal Wunden hinterlassen, die lange nicht verheilen. Dabei ist es dem Zwillingspaar gelungen, Konkretes und Symbolisches so perfekt auszutarieren, dass sich das Gefühl einstellte, mit den Mitgliedern dieser Familie am Küchentisch zu sitzen.

In »Das Mädchen und die Spinne« gelingt ihnen ein noch größeres Kunststück. Sie lassen einen an den brüchigen Verhältnissen teilhaben, in denen Lisa und die in der WG zurückbleibende Mara, ihren alten und neuen Nachbarn und den beim Umzug helfenden Handwerkern gefangen sind. Zugleich öffnen sie ihr auf den ersten Blick realistisch angelegtes Porträt einer Trennung für surrealistische und magische Momente. Auch wenn es oft so scheint, als ob sich das Leben in viel zu kurzen Momenten des Glücks und viel zu langen Phasen der Einsamkeit und des Schmerzes erschöpft, ist das längst nicht alles. In kleinen Einschüben und Episoden, die auch Träume sein könnten, feiern die Zürchers all die Verrücktheiten und Abenteuer, die das alltägliche Sein eben auch für uns bereithält.

Das Wundervollste dabei ist, dass sie nicht versuchen, all die Fragen, die sie aufwerfen, auch zu beantworten. So bleibt bis zum Ende offen, ob Mara und Lisa Freundinnen oder doch ein Liebespaar waren. Viele der Blicke, die Mara ihrer Mitbewohnerin zuwirft, sprechen genauso dafür. »Das Mädchen und die Spinne« lässt sich als Choreografie von sinnlichen und sehnsüchtigen Blicken lesen, die sich spontan entzünden und schnell wieder verlöschen.

Wer versucht, all die angedeuteten Liebesverstrickungen zu entwirren, wird wahrscheinlich irgendwann aufgeben. Das Begehren ist hier ständig im Fluss. Denn letztlich lieben nahezu alle Figuren des Films aneinander vorbei. Das verbindet sie mit den Figuren aus den Stücken Anton Tschechows, in dessen Fußstapfen die Zürchers treten. Wie der russische Dramatiker huldigen die schmerzlich-schönen Alltagsminiaturen einem lyrischen Realismus, der verzaubert.

Meinung zum Thema

Kommentare

soooo langweilig, aufgesetzt, pseudo-erotisch und -poetisch....

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