Kritik zu Das kleine Zimmer

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Was fangen wir nur mit unseren Alten an? lautet der Titel eines Griffith-Kurzfilms. Einfühlsam suchen die Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond eine Antwort, indem sie eine weitere Frage stellen: Was fangen wir mit unseren Jungen an?

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Das Unglück ist kein Wettbewerb. Es gibt keine Skala, auf der Trauer und Schmerz des einen mehr Gewicht hätten als die des anderen. Sie lassen sich auch im Kino nicht aufwiegen. Aber manchmal spiegeln sie sich ineinander und führen einen Heilungsprozess herbei. Es besitzt eine einfache, sorgsame Symmetrie, wie sich in diesem Film zwei Menschen mit je eigener Tragik begegnen.

Edmonds (Michel Bouquet) Problem ist offensichtlich. Der mürrische Witwer ist alt und gebrechlich, vernachlässigt seinen Körper, flüchtet sich in die Musik und die Erinnerung an seine Frau. Seiner Enttäuschung über den Sohn, der es nicht abwarten kann, ihn ins Heim abzuschieben, macht er mit Sarkasmus Luft. Als Vater wird er sich einiges vorzuwerfen haben. Rose (Florence Loiret Caille) trägt als Hauspflegerin Sorge dafür, dass der Diabetiker seine Spritzen bekommt und sich anständig ernährt. Halsstarrig weigert er sich, ihr seine Hilfsbedürftigkeit einzugestehen. Dennoch entwickelt er mit der Zeit eine gewisse Bewunderung für die Beharrlichkeit der jungen Frau. Ihre Vorgesetzte warnt sie, dass sie ein zu enges Verhältnis zu ihren Patienten aufbaut. Aber sie kann nicht anders, als diese Grenze zu überschreiten.

Zu dem, was auf ihr und ihrem Mann Marc (Eric Caravaca) lastet, legen die Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond zunächst jedoch nur sachte Spuren aus. Sie nehmen sich Zeit, ihre Tragödie zu offenbaren. Sie respektieren die Verdrängungsleistung der eigensinnigen Frau und das Gewährenlassen ihres Mannes. Sie hat ein Kind tot geboren, aber in ihrer Vorstellungswelt lebt es noch. Das Zimmer war schon liebevoll eingerichtet. Seither ist es ein Tabu. Wie Edmond und sein Sohn ist das Paar dazu verurteilt, tagtäglich aneinander zu scheitern. Was sie vor dem Unglück miteinander verband, ist noch nicht ganz erloschen. Aber erst einmal können sie nicht anders, als allein zu bleiben mit ihrem Schmerz. Als Edmond nach einem Unfall ins Altersheim kommt und von dort wieder fliehen will, verzahnt das Drehbuch die Leidensgeschichten, die es zunächst parallel führte, immer enger. Da der Sohn Edmonds Wohnung ausgeräumt hat, nimmt Rose ihren Patienten bei sich auf. Der alte Mann spürt, dass hier eine letzte, wichtige Aufgabe auf ihn wartet: Er muss seine Pflegerin zurück ins Leben führen. Kurzerhand quartiert er sich im Kinderzimmer ein. Sie lässt es wortlos geschehen. Die schönsten Pakte werden im Kino mit Verschwiegenheit geschlossen.

Der schmallippige Bouquet ist das stille Ereignis dieses achtbaren Schauspielerfilms. Mühelos bewältigt er die Wandlung, die ihm das Drehbuch auferlegt. In Mimik und Körperspiel legt er eine leise Munterkeit, welche die Verbitterung des Griesgrams allmählich aufbricht. Bouquet und seine Partnerin führen den Zuschauer sensibel auf die mitunter holprig vorhersehbaren Wege, auf denen das Drehbuch der Überwindung der Krisen entgegensteuert. Die Katharsis ist um einen hohen Preis bezahlt, der die Regisseurinnen sichtlich geniert. Sie reihen eine hoffnungsvolle Coda an die andere, um Roses Heilungsprozess abzuschließen. Sie meinen es wohl ein wenig zu gut mit ihren Figuren.

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