Kritik zu Ballade von der weißen Kuh

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Nach dem Berlinalegewinner »There is no evil« dreht sich auch dieser iranische Film (und Berlinalebeitrag) um die verheerenden Auswirkungen der Todesstrafe im Iran: Eine Witwe bekommt im Nachhinein die Unschuld ihres Mannes bestätigt

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Das erste Bild von »Ballade von der weißen Kuh« zeigt den Innenhof eines Gefängnisses. Links stehen die Männer. Rechts die Frauen. Alle sind sie entlang einer Wand aufgereiht, in strengstes Schwarz gehüllt, während sich ein dichter Klangteppich aus menschlichen Stimmen, ein sich ineinander verkeilendes Murmeln ausbreitet. In der Mitte des Hofes steht andächtig eine weiße Kuh und rührt sich nicht vom Fleck. 

Eine seltsame Erhabenheit wohnt diesem Bild inne. Es scheint, als hätte darin alles seinen Platz, alles eine rechtmäßige Ordnung. Dabei setzten die Gefängnismauern einen brutalen Kontrapunkt aus gesellschaftlichem Zwang, den der Film in der Folge in alltäglichere Bilder zu übersetzen weiß.

Langsam fährt die Kamera auf die Kuh zu. Mitten in der Bewegung erfolgt ein Schnitt, und Mina (Maryam Moghaddam) öffnet ihre Augen. Wir sehen die Frau zum ersten Mal, und eine Träne läuft ihre Wange hinab. Sie ist, wie wir erfahren werden, auf dem Weg ins Gefängnis, um dort ihren Mann Babak zu besuchen, dessen Hinrichtung kurz bevorsteht. Sie betritt die Zelle, deren Tür sofort hinter ihr verschlossen wird. Die Kamera fährt ganz langsam zurück. Mit dieser Entfernung nehmen wir Abschied von einem Mann, dessen Gesicht wir nur ganz kurz gesehen haben. 

Das sind die ersten intensiven Minuten von »Ballade von der weißen Kuh«, in denen das Regieduo Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam (sie spielt auch die Hauptrolle) den Ton setzt. In einer paradoxen Gleichzeitigkeit aus distanzierter Kühle und emotionaler Intensität werden die Menschen immer ins Verhältnis zu ihrem Umfeld gesetzt, in dem sie gleichsam wie in einem Gefängnis eingesperrt sind; die Ränder der Bilder werden jene Gefängnismauern, mit denen der Film allegorisch begonnen hat. Diese reichen im Iran insbesondere für Frauen bis in den Alltag hinein. So ist es als Witwe nahezu unmöglich, eine neue Wohnung zu finden.

Innerhalb dieser Mauern der sozialen Ausgrenzung müssen sich Mina und ihre taubstumme Tochter Bita (Avin Purraoufi) durchs Leben schlagen. Schließlich stellt sich heraus, dass ihr Mann unschuldig war. Für Mina bricht die Welt zusammen, in die Traurigkeit mischt sich Wut. Als dann ein mysteriöser Mann in Minas Leben tritt, gibt es eine fragile Aussicht auf ein anderes Leben; zwischen dem stillen Mann und der trauernden Frau entspinnt sich eine zurückhaltende Liebesgeschichte. Doch der Mann verbirgt ein dunkles Geheimnis, an dem die Zukunft aller zerbrechen könnte. 

»Ballade von der weißen Kuh« erzählt vom Leben einer Frau, der sogar noch die Trauer von Männern genommen wird. Das Opfer (die weiße Kuh) stabilisiert die männliche Ordnung in alle Ewigkeit. Vielleicht liegt darin auch einer der Gründe, warum der Iran eine der höchsten Hinrichtungsraten der Welt hat. Nicht nur der Verbrecher wird bestraft, sondern auch das Weibliche an seinen Platz verwiesen – links die Männer, rechts die Frauen. Am Ende braucht es keine Mauern mehr.

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