Kritik zu Aus dem Nichts

© Warner Bros. Pictures

Nach einem Bombenattentat nimmt die Polizei die Angehörigen der Opfer ins Visier, statt den ­Verdachtsmomenten bei Rechtsextremen nachzugehen: Fatih Akin macht aus der Geschichte um die ­NSU-Morde ein Drama, das nicht durch Argumente, sondern Emotion besticht

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»War Ihr Mann religiös? War er Kurde? War er politisch aktiv?«, so lauten die ersten Fragen des Kriminalbeamten an Katja Sekerci (Diane Kruger), deren Mann und deren kleiner Sohn gerade bei einem Nagelbombenanschlag ums Leben gekommen sind. Wenige Tage später steht die Kripo erneut mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür und durchkämmt das Haus nach Drogen. Was in Fatih Akins »Aus dem Nichts« nur eine Viertelstunde in Anspruch nimmt, dauerte für die Angehörigen der Opfer der NSU-Morde mehrere Jahre. Jahre, in denen die Verstorbenen, deren Familien und Freunde nach kriminellen Verdachtsmomenten durchleuchtet wurden, weil die Ermittler ebenso wie die Presse die Täter alleine in der türkischen Gemeinde suchten und sich einen rechtsradikalen Hintergrund nicht vorstellen wollten. »Aus dem Nichts« ist den Hinterbliebenen gewidmet, sucht den emotionalen Zugang und nicht die politische Analyse zu seinem Thema. Vieles kommt dabei nicht vor: die Rolle des Verfassungsschutzes, die Hintergründe der Täter, die Reaktion der Medien. Reduktion ist der Schlüssel der Erzählung und nicht der Versuch, dem Sujet mit all seinen Facetten gerecht zu werden.

»Aus dem Nichts« beginnt mit einer Liebesheirat im Knast, wo Nuri (Numan Acar) wegen Drogenhandels einsitzt, und spult danach gleich acht Jahre weiter. Katja bringt ihren Sohn Rocco (Rafael Santana) zu seinem Vater, der mittlerweile in Hamburg ein Steuerberatungsbüro betreibt, und als sie ihn wieder abholen will, muss sie erfahren, dass beide bei der Bombenexplosion umgekommen sind. Dieser erste Teil des Films zeigt den Verlustschmerz, an dem Katja zu zerbrechen droht.

Diane Krüger spielt das mit einer rohen Kraft, wie man sie bisher noch in keiner ihrer Rollen gesehen hat. Und Akin bleibt mit Handkameraaufnahmen nah dran an dieser Leidensfigur, der die ungefilterte Empathie des Publikums gehört. Als das Neonazi-Täterpaar gefasst wird, verwandelt sich das Trauergefühl in eine Sehnsucht nach gerechter Bestrafung. Der Film wird zu einem klassischen Justizdrama, in dem die Emotionen der Betroffenen auf die Nüchternheit eines Gerichtsprozesses prallen. Wenn die Sachverständige im Detail die Verletzungen der Opfer schildert, wird dieser Widerspruch deutlich sichtbar. Als der Verteidiger mit rhetorischer Präzision Zweifel sät und das Gericht schließlich »in dubio pro reo« entscheidet, tut sich vor Katja eine riesige Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit auf, die sie fortan mit eigenen Racheplänen zu kompensieren versucht. Mit »Das Meer« ist dieser letzte Teil überschrieben, der einerseits als Thriller angelegt ist und gleichzeitig in einigen Momenten eine gewisse kontemplative Ruhe ausstrahlt. Nicht umsonst hat Katja ein Samurai-Tattoo auf dem Körper: In der Rache liegt die Ruhe liegt die Kraft. Das führt zu einem Schlussbild, über das durchaus gestritten werden kann und soll, das aber der Integrität von Film und Figur gerecht wird. Mit »Aus dem Nichts« findet Fatih Akin zu jenem starken, bedingungslos emotionalen Kino zurück, mit dem er einst durch Filme wie »Gegen die Wand« oder »Auf der anderen Seite« berühmt geworden ist.

Man mag dem Film vorwerfen, dass er sein hochpolitisches Thema nicht tief genug auslotet. Aber Akin war nie ein kühler Gesellschaftsanalytiker, sondern ein Filmemacher, der für seine Figuren und das Genrekino brannte. Beides ist auch in »Aus dem Nichts« spürbar, der Melodram, Gerichtsfilm und Thriller in den Dienst seiner Protagonistin stellt. Mit der blonden, blauäugigen Diane Krüger unterwandert Akin gezielt die Opfer­stereotypen und findet gleich­zeitig eine Schauspielerin, die alle Facetten der Figur von der Szenebraut über die Schmerzensmutter bis zum Racheengel auf eine sehr bodenständige Weise verkörpert. Ihr allein gehört der Film, der sich mit Haut und Haar der Opferangehörigenperspektive verschreibt und seine Haltung mit großer Klarheit vertritt – ein Standpunkt, der sowohl im Kino als auch im gesellschaftlichen Diskurs seine notwendige Berechtigung hat.

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