Kritik zu Alle reden übers Wetter

© Grandfilm

2022
Original-Titel: 
Alle reden übers Wetter
Filmstart in Deutschland: 
15.09.2022
L: 
89 Min
FSK: 
12

Über die Differenz zwischen urbanem Bildungsbürgertum und dörflich-proletarischen Gepflogenheiten: In Annika Plinskes Film kehrt eine Doktorandin aus Berlin zum 60. Geburtstag ihrer Mutter in die alte Heimat in die brandenburgische Provinz zurück

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Annika Pinske hat mit »Alle reden übers Wetter« einen brandaktuellen und zugleich angenehm unaufgeregten Film gedreht: über die Differenz zwischen dem urbanen Bildungsbürgertum und dem dörflich-proletarischen Gepflogenheiten und darüber, was Heimat in diesen unterschiedlichen Lebensmilieus bedeuten kann. Dass es sich um das Spielfilmdebüt der Regisseurin handelt, verblüfft. Zunächst deshalb, weil der Film in kleinen Nebenrollen mit so prominenten Namen wie Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld oder Max Riemelt besetzt ist, am Ende aber vor allem deshalb, weil Pinske mit großer Souveränität ein pointiertes Gesellschafts­porträt zeichnet.

Pinske lässt die oberflächlich gegensätzlichen Welten von Stadt und Provinz in erzählerischer Zweiteilung aufeinanderprallen. In der ersten Filmhälfte folgen wir Clara, fantastisch verkörpert von einer zwischen universitärer Strenge und Emotion changierenden Anne Schäfer, durch ihren Lebensalltag in Berlin. Die Enddreißigerin aus der brandenburgischen Provinz hat eine Tochter, die bei ihrem Ex (Ronald Zehrfeld) lebt, sie selbst wohnt in einer Wohngemeinschaft, promoviert in Philosophie zu Hegels Theorie der Freiheit und hat ein Verhältnis mit dem Studenten Max (Marcel Kohler).

Wirklich frei ist Clara als Frau mit starken Selbstverwirklichungsambitionen nicht. Anders als Max Linz in seiner schrillen Universitätsgroteske »Weitermachen Sanssouci«, skizziert Pinske mit dokumentarischer Nüchternheit und leisem Sarkasmus die Mechanismen des universitären Hamsterrads. So erweist sich das Machtverhältnis in der zwischen Pseudofreundschaft und Abhängigkeit changierenden Beziehung zur Doktormutter Margot (Judith Hofmann) als krudes Auf und Ab. »Liebe und Tod, drunter machen wir es nicht«, brüllt Margot etwa einen Radfahrer bei einer gemeinsamen Rückfahrt von einer Abschiedsfeier an, seinen Fahrradhelm verlacht sie als »Verneinung des Lebens«. Kurz darauf droht sie Clara, ihre Lüge mit dem Diplomatenvater auffliegen zu lassen, sollte ihr geplanter Aufsatz nicht gut sein.

In der zweiten Hälfte des Films dann geht es in die brandenburgische Provinz. Clara besucht zusammen mit Tochter Emma (Emma Frieda Brüggler) ihre Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) zur Feier ihres 60. Geburtstags. Inge ist das Paradebeispiel einer immer auf dem Dorf gebliebenen Hausfrau und Mutter: eine Kreuzworträtselkönigin, oberflächlich einfach gestrickt, pragmatisch bis in die Knochen. Clara meckert sie in einem emotionalen Moment an, dass immer nur geredet und gelabert, aber nie wirklich kommuniziert werde. »Ich will mich mit dir nicht immer nur übers Wetter unterhalten!«

Geschickt stülpt Pinske diesen Modus Operandi, diese banalen Ergüsse statt tiefergehender Kommunikation, ihrem Film selbst als Form über. Auf den ersten Blick sind da Alltag und Banalitäten: das spießige Gehabe der Geisteswissenschaftler, die prekären Umstände der Universitätsanstellung einer Doktorandin, die jahrelang auf einer Assistenzstelle festhängt, die laue, zwischen Volksmusik und »An Tagen wie diesen«, dem Schlager-Punk der Toten Hosen, lavierende Party, auf der die Dorfunternehmer besoffen sexistische Witze reißen. »Wat is die Steigerung von Rinderwahnsinn? Frauenpower.« Uff! 

Nur kommt die Regisseurin, die seit 2009 freiberuflich bei der Filmproduktion Komplizen Film arbeitet und von 2013 bis 2015 persönliche Assistentin von Maren Ade war, selbst aus der ostdeutschen Provinz und weiß sehr genau, wovon sie redet. Und das ist alles andere als fader Wetter-Small-Talk. Auch wenn vieles bewusst im Vagen bleibt, zeichnet sie mit Sensibilität und Ehrlichkeit die Milieus und Figuren und erkundet peu à peu deren Innerstes.

Ohne den Unibetrieb und das Dorf plump vorzuführen, legt »Alle reden übers Wetter« den Finger in die Wunden, erzählt von Klassismus, von Falsch- und Nichtkommunikation, von unterschiedlichen Lebens- und Geschlechterkonstruktionen, Generationenkonflikten und von Mutterschaft. Am Ende, wenn eine zum Schreien coole Big-Band-Brass-Version von Rage Against the Machines »Killing in the Name« gespielt wird, bohrt sich das »Now you do what they told ya« (»Du machst jetzt, was sie dir gesagt haben«) regelrecht in Clara hinein und lässt sie erkennen.

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