Kritik zu 3096 Tage

© Constantin

Natascha Kampuschs Entführungsgeschichte, eines der letzten Lieblingsprojekte des vor zwei Jahren verstorbenen Bernd Eichinger, als intensives Kammerspiel verfilmt von Sherry Hormann

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Dies ist kein Film, den man leichten Herzens anschaut. Es geht um den realen Fall einer Zehnjährigen, die 1998 auf dem Schulweg gekidnappt und in eine hermetisch verschlossene Zelle unter einem Wohnhaus eingesperrt wurde, bis sie 2006 fliehen konnte. Eigentlich möchte man nicht so genau wissen, was das Mädchen durchgemacht hat. Es ist ein Stoff, der von den Gebrüdern Grimm als Märchen aufgeschrieben worden wäre, ein Stoff, der irgendwann einen Horrorfilm inspirieren wird. Doch hier war, schon durch die vielen Gespräche, die Natascha Kampusch mit Bernd Eichinger führte, der vor seinem Tod 2011 mit dem Verfassen des Skripts begonnen hatte, klar, dass die Chronik so detailgetreu und realistisch wie möglich ausfallen würde. Ein Trost in Form einer künstlerischen Überhöhung oder auch nur eines harmonieseligen Happy Ends war also nicht zu erhoffen.

Tatsächlich verzichten Regisseurin Sherry Horman und ihr Ehemann, Kameralegende Michael Ballhaus, weitgehend auf filmische Kniffe. Zu Beginn ein paar Streiflichter auf Nataschas Konflikte mit den getrennt lebenden Eltern, dann, am helllichten Tag, der Überfall: Wolfgang Priklopil zerrt das Kind in einen Lieferwagen.

Er lässt es hungern – zeitweise wog sie nur 38 Kilo –, er trommelt ihr über die Abhöranlage das Mantra »Gehorche!« ein, er behauptet, dass ihre Eltern kein Lösegeld zahlen wollen, verprügelt sie und beschimpft sie, kurz, er will sie brechen. Aber er schenkt ihr auch Bücher, lässt sie nach zwei Jahren zum ersten Mal aus ihrem Verlies. Und dann will er sie zu seiner Sklavin abrichten, die ihn bedient, und die, abgemagert, kurzgeschoren und mit Kabelbinder gefesselt, mit ihm ins Bett muss.

Amelia Pidgeon als Kind und Antonia Campbell-Hughes als Heranwachsende verkörpern ein introvertiertes Mädchen, das jeden Strohhalm ergreift, um durchzuhalten. Wie Tom Hanks in Cast Away bastelt sie sich ein Gegenüber. Das Lesen und die schreibende Selbstvergewisserung – sie führt auf Klopapier Tagebuch – scheint die Rettung vor dem psychischen und physischen Terror gewesen zu sein. Anders als in Kampuschs Buch kommen auch die Vergewaltigungen aufs Tapet. Und es ist dieser willensstarken jungen Frau hoch anzurechnen, dass sie auch hier gnadenlos ehrlich die Grauzonen des Sklavenverhältnisses ausleuchtet. Ein einziges Mal entsteht bei ihr so etwas wie Genießen – und dieser Kontrollverlust zieht prompt einen Selbstmordversuch nach sich.

Priklopil – der Däne Thure Lindhardt – wird nicht als Monster gezeigt, sondern als erschreckend banales Würstchen. Seine Mutter versorgt ihn mit Bergen von vorgekochtem Essen. Ihre Rolle ist leider unterbelichtet – entwickelt der Film sich doch zum Psychogramm eines unscheinbaren Muttersöhnchens; ein Psychopath, aber überlegt genug, um über Monate hinweg heimlich einen Kerker zu bauen. 3096 Tage ist ein distanziertes Kammerspiel, das mit seiner Beobachterposition zwar an der Oberfläche verharrt, damit zugleich aber Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen zur Kenntlichkeit zuspitzt.

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