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© NDR/Superfilm
»Wenn das Buch, das wir lesen«, so Kafka in einem Brief, »uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?« Ein Satz, an den man sich erinnert. An diese unnachahmliche Mischung eines beinahe bürokratischen Stils mit unheimlichen Assoziationen zwischen den Zeilen.
Orson Welles hat ihn kongenial adaptiert (»The Trial«, 1962). Soderberghs Film (»Kafka«, 1991) ist beachtlich, basiert aber auf einem klischeehaften Kafka-Bild. An Michael Hanekes »Das Schloss« kann sich nicht zufällig kaum jemand erinnern. Wie man sich an Kafka verhebt, zeigt Jochen Alexander Freydanks »Der Bau«. Und nun blickt anlässlich seines 100. Todestages ein sechsteiliges Biopic zurück auf das leidgeprüfte Leben des Jahrhundertautors. Ein dickes Brett ist da zu bohren.
Basierend auf der monumentalen, dreibändigen Biografie von Reiner Stach, hat der Österreicher David Schalko nach einem Drehbuch von Daniel Kehlmann (an dem Schalko partizipierte) Kafkas Lebensgeschichte verfilmt. Aspekte seines Haderns zwischen Beruf, Berufung und Liebesleben werden dabei nicht chronologisch abgehakt. Darsteller durchbrechen die »vierte Wand«, um an den Zuschauer adressiert Probleme und Unklarheiten zu artikulieren. Bühnenartige Künstlichkeit unterstreicht den literarischen Charakter der Szenerie. Hier und da verfängt diese Stilisierung. Die Figur des Vaters (Nicholas Ofczarek) etwa, der am Esstisch der Familie seine Herrschaft durch cholerisches Hineinschaufeln von Lebensmitteln zelebriert, erhält Kontur.
Dagegen fremdelt man mit dem Schweizer Joel Basman in der Titelrolle. Nun gut, Kafka war Anhänger der Reformbewegung. Wenn er unablässig Nüsse kaut und Kniebeugen absolviert, wirkt dies aber einfallslos. Auch Szenen im Bordell, die zeigen sollen, dass der vermeintliche Asket nicht verklemmt war, erscheinen hölzern. Packend wird die Serie, wenn sie tatsächlich »kafkaesk« wird. So lädt Felice Bauer (Lia von Blarer) ihren notorisch zögerlichen Verlobten zu einer stilisierten Gerichtsverhandlung. Jene zahllosen Liebesbriefe, die er an sie schrieb, sind zwar literarisch formvollendet. Gerade deswegen dienen sie als Beweisstücke für seine emotionale Distanz. Interessanter noch ist die Episode mit Milena, in deren Rolle Liv Lisa Fries Akzente setzt. Die Übersetzerin hatte ja auch ein bewegtes Leben unabhängig von Kafka. Und so erscheinen die Interaktionen zwischen den Figuren lebendiger.
Ein Thema ist die Freundschaft zu Max Brod. Der vergleichsweise mittelmäßige Autor litt darunter, hinter Kafka zu verschwinden. Wohl deshalb sicherte er sich dank des Besitzes des umfangreichen Nachlasses eine problematische Deutungshoheit. Auf die Reenactment Nachstellung eines Fernsehgesprächs, das Brod 1968 führte, hätte die Serie gut verzichten können.
Antisemitismus durchzieht den Sechsteiler als roten Faden. Als assimilierter Jude empfindet der Vater einen solchen Ekel gegen den jiddisch sprechenden Schauspieler Jizchak Löwy (Konstantin Frank), dass er ihn als »Ungeziefer« bezeichnet. Kafka identifiziert sich mit seinem Freund – und wird so literarisch zu einem Käfer. Diese »Erklärung« der berühmten Kafka-Erzählung »Die Verwandlung« erscheint etwas eindimensional. Zumal dann in einem Traumbild auch noch zu sehen ist, wie der Riesenkäfer von der Haushälterin zerbröselt wird.
Nicht überzeugend ist auch die konkretistische Bebilderung der tötenden Schreibmaschine aus »In der Strafkolonie«. Kafkas Sprachbilder sind nicht einfach visuell. Die Kraft seiner Literatur wurzelt in jener unmenschlichen juristischen Logik, die er als Angestellter der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt in Prag virtuos handhabte. Beklemmende Szenen, in denen Kafka Menschen, die durch Arbeitsunfälle verstümmelt wurden, dem Raster einer bürokratischen Logik unterwirft, lassen erahnen, woher der geniale Autor seine Visionen bezog. Diese Verdichtung zwischen Leben und Werk gelingt der ambitionierten Serie aber nur gelegentlich.