Kritik zu Bettina

© Salzgeber

2022
Original-Titel: 
Bettina
Filmstart in Deutschland: 
19.05.2022
L: 
107 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Lutz Pehnert zeichnet zusammen mit der Sängerin Bettina Wegner deren Lebensweg nach – und erzählt dabei ein Stück DDR-BRD-Geschichte, an dem noch viel zu erschließen wäre

Bewertung: 4
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Ihr berühmtestes Lied kommt erst kurz vor Schluss. Sie habe es, so erzählt sie bei einem Konzert, lange Jahre nicht gespielt, weil sie genervt davon war, dass Leute immer nur diesen einen Song von ihr kannten. Sie erzählt auch, dass ihre Söhne ihr mal eine Punkversion mit verändertem Text vorspielten: »Sind so kleine Biere/sind so schnell dahin!/Darf man nie schnell trinken,/ist sonst nichts mehr drin.« Zur Überraschung der Söhne hätte sie gegen diese Verwendung keinerlei Einwände. Dass Bettina Wegner einen ausgeprägten Sinn für Humor und feine Ironie besitzt, ist dabei nur eine der vielen Beobachtungen, die sich aus Lutz Pehnerts wunderbar subtilem dokumentarischem Porträt gewinnen lassen.

Pehnerts Herangehensweise ist gewissermaßen klassisch: Man sieht die mittlerweile 74-jährige Sängerin bei aktuellen Konzertproben, dann kommen Archivaufnahmen ins Spiel, Fotos und Filme und dazu Interviewpassagen, in denen Wegner aus ihrem Leben erzählt, von der frühen Kindheit noch in Westberlin, vom Umzug mit den Eltern nach Ostberlin, von der glühenden Stalin-Verehrung, die sie als Grundschülerin erfüllte, und dem Wunsch, Schauspielerin zu werden. Und wie dann alles irgendwie anders kam.

Chronologisch geradlinig wird ein Lebensweg erzählt, der schon bald alles andere als geradlinig verlief. Im Ostberlin der 60er Jahre gehört Wegner als junge Frau zu einem Kreis von kreativen Geistern, die »mit den Behörden« fortwährend um mehr Freiheiten ringen. Wie sie selbst das beschreibt, klingt es fast wie ein sportliches Ringen. Wenn man in der Kirche nicht mehr auftreten konnte, ging man eben in einen Club in Weißensee. Wenn der zumachte, gründete man einen eigenen. Und wenn der eine Song nicht genehmigt wurde, dann komponierte man den nächsten, und so weiter. Aber dann marschierten im August 1968 die Truppen des Warschauer Pakts in Prag ein. Wegner war 20 Jahre alt und hatte gerade ihr erstes Kind bekommen. Und konnte nicht an sich halten. »Ich musste zum Ausdruck bringen, dass ich da dagegen war«, gibt sie später bei der Verhandlung zu Protokoll. Weil sie wusste, dass das öffentlich nicht ging, tat sie es heimlich, in Form von Flugblättern, auf die sie Dinge wie »Es lebe das rote Prag!« oder »Hoch Dubcek!« geschrieben hatte und die sie zusammen mit einem Freund in einer Nacht in Briefkästen im Prenzlauer Berg-Viertel steckte. Am nächsten Tag wurden sie verhaftet und später verurteilt – zur »Bewährung in der Produktion«. 

Mit völlig unsentimentalem Understatement erzählt Wegner von solchen Brüchen. Das macht es ausgesprochen angenehm, ihr zuzuhören. Pehnerts feine Montage setzt aussagekräftige Archivbilder dazu, die das fremde Land, das die Vergangenheit nun mal ist, in Ansätzen erschließen – und andeuten, wie viel mehr da noch zu entdecken wäre. Die Aufnahmen mit der jungen Bettina Wegner scheinen ein schüchternes, manchmal sogar verhuschtes Mädchen zu zeigen, aber die Stimme bewies schon damals das Gegenteil. Sie singe lauter, als sie sprechen könne, verkündet sie in den 70er Jahren einmal dem Westberliner Publikum. Tatsächlich besitzt ihre Stimme eine Intensität, die sich mühelos durchsetzt und die man nicht leicht vergisst.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ein großartiges Zeitgemlde und Portrait.
Bettina Wegner hat meine Geschichte begleitet und begleitet sie noch

Der Regisseur hat den Film nicht selbst montiert. Es war Thomas Kleinwächter. Immer wieder lese ich in Kritiken solche Dinge. Film ist Teamarbeit. Gerade im Dokumentarfilm ist die Montage oft entscheidend. Diese dramaturgische Arbeit ist zum großen Teil Werk des Film-Editors und sollte auch entsprechend gewürdigt werden. Bitte seien Sie doch sorgfältiger in solchen Dingen. Danke.

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