Kritik zu Nach einer wahren Geschichte

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Mit dieser Romanverfilmung nach Delphine de Vigan kehrt Roman Polanski motivisch zu seinen Anfängen zurück. Bedrängnis und Zweifel an der Wirklichkeit stehen im Hintergrund der Geschichte um eine Erfolgsautorin mit Schreibhemmung

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Ironischer könnte der Titel »Nach einer wahren Geschichte« kaum sein. Denn um Wahrheit und deren Wahrnehmung geht es in diesem Film, darum, was sein kann und was sein muss. Und in der Folge natürlich auch um die Wahrheit der Kunst, des Films. Die Erfolgsautorin Delphine (Emmanuelle Seigner) trifft bei einer Signierstunde auf eine schöne junge Frau (Eva Green), die ihr selbst nicht unähnlich sieht und sich Elle nennt. Das französische weibliche Personalpronomen »elle« leitet sich hier von Elisabeth ab, ohne seine Allgemeingültigkeit zu verlieren. Elle ist alleinstehend, arbeitet als Ghostwriterin und wird für Delphine dadurch in jeder Hinsicht eine Projektionsfläche. Als sich beide auf einer Party wiedertreffen, freunden sie sich an. Elle lädt Delphine zu ihrem Geburtstag ein – wo sie der einzige Gast am übervollen Buffet ist. Alle anderen hätten abgesagt, behauptet Elle. Das Mysteriöse, das man aus frühen Polanski-Filmen wie »Der Mieter«, »Rosemaries Baby« oder »Ekel« kennt, stellt sich ein, unterschwellig und atmosphärisch. Man weiß nicht genau, was wirklich passiert. Wahrheit und Wahrscheinlichkeit werden austauschbar.

So bleibt es bis zum Schluss. Im Verlauf des Films wird Delphine noch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und isoliert. Sie wird sich bei einem Sturz das Bein brechen, Elle wird in einem ebenerdigen Landhaus fernab von Paris für sie sorgen. Elle wird sie auch bei einer Schulveranstaltung vertreten und ihr in Gestalt und Kleidung immer ähnlicher werden. Und schließlich wird sie ihre Geschichte erzählen. Für Delphine, die seit dem Erfolgsroman über ihre Mutter unter einer Schreibhemmung leidet, wird diese grotesk verzerrte Geschichte zur neuen Inspiration. Das Ergebnis kann dann kaum trivialer ausfallen. Traumatisierende Ereignisse und Selbstmorde pflasterten ihren Weg. Der Roman »Nach einer wahren Geschichte« wird aber trotzdem ein Erfolg. Die Frage bleibt nur, wer ihn geschrieben hat.

Der neue Film von Roman Polanski ist kein Thriller, dafür ist er zu langsam. Aber es gibt immer wieder Szenen, in denen das Grauen hervorbrechen könnte, doch immer obsiegt die Normalität. Selbst als Delphine mit Spuren von Gift im Körper in einem Graben gefunden wird, stellt ihre Umwelt die ganz normalen Fragen. Warum sie sich habe umbringen wollen? Auf Elle fällt kein Verdacht. Es ist aber ihre »wahre Geschichte«, die Gegenstand von Delphines Buch wie von Polanskis Film wird. Der Text erhebt sich hier nicht nur metaphorisch über den Autor, die Figur erscheint, fordert ihre Künstlichkeit heraus und will geschrieben werden. Der Prozess der Verwandlung von Wirklichkeit, so wahr sie auch immer sein mag, in Kunst, ist nicht nur unumkehrbar, er ist auch immer ein künstlerischer. Was von einer wahren Geschichte übrig bleibt, kann also nicht an ihrem Wahrheitsgehalt gemessen werden, sondern nur daran, ob sie künstlerisch gelingt. Das zeigt Roman Polans­ki mit diesem Film auf verschmitzte Weise und überlässt dabei viel dem Zuschauer. Das ist in einer Zeit, in der Filme fast ohne Subtexte auszukommen scheinen, schon eine Leistung.

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