Truth and Dare

Wenn man erst mal durch Punk gegangen ist, dann kann man auch wieder Hippiegedanken zulassen
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»Tod den Hippies!! Es lebe der Punk«

Was ist ein Punk-Film? Oskar Roehlers gerade angelaufener Tod den Hippies!! Es lebe der Punk ist es nicht, meint Klaus Walter. Der Musikkritiker spürt dem Punk als politischer und ästhetischer Haltung nach, von den Siebzigern bis zum aktuellen Kino

Der beste Punk-Film, den ich in den letzten Jahren gesehen habe, ist »Exhibition« von der britischen Regisseurin Joanna Hogg. Die Hauptfigur ist ein Haus. Ein schma­ler, mehrstöckiger Bau im feinen Londoner Westen; Schiebewände, begehbare Schränke, Vorhänge und Jalousien öffnen und schließen immer neue Blickachsen, vertikal rankt sich das Haus um einen Schachtkern aus Wendeltreppen. Im Haus leben D und H, ein Künstlerpaar um die sechzig, gespielt von Liam Gillick und Viv Albertine, Musikerin mit Punkvergangenheit.

Wenn D und H in ihren Arbeitszimmern auf verschiedenen Etagen sitzen, kommunizieren sie über die Gegensprechanlage. »Was machst du?« – »Arbeiten.« – »Magst du später hochkommen?« – »Nein.« Oder: „Liebst du mich noch?« – »Klar.«

Gegen das vom renommierten Architekten James Melvin gestaltete Haus müssen die Figuren anspielen, schrieb eine Kritikerin. Das Haus ist gleichermaßen Schauplatz wie Akteur der »Exhibition«, wir werden Voyeure der Ausstellung einer Ehe. Nach achtzehn Jahren wollen D und H ausziehen, obwohl sie noch an dem Haus hängen. Ist es ein Versuch der Emanzipation von einem Dritten, das das eigene Leben überformt? Ein Versuch, sich zu befreien von Routinen und Bewegungen, die das Haus den Körpern eingeschrieben hat? Geht es darum, noch einmal Zugang zur eigenen Sexualität zu finden, was die beiden immer wieder versuchen, meist schweigend und meist ohne Erfolg? Am Ende feiern sie mit Freunden im Haus den Abschied vom Haus, das Haus steht als Kuchen auf dem Tisch und wird von der Partygesellschaft verspeist: »There goes the bathroom.«

Warum ist »Exhibition« ein Punk-Film? Dazu später. Was ist ein Punk-Film? Was ist das überhaupt: Punk? Es gibt zwei konkurrierende Erzählungen dazu. Die erste besagt, dass Punk in den Metropolen der USA und Englands 1976/77 der Rockmusik in den Arsch getreten und sie so wieder ins Laufen gebracht hat. Punk als Jungbrunnen und Frischzellenkur für den alt und träge gewordenen Rock. Nach dieser Definition ist Punk ein in den späten Siebzigern neu entstandenes Subgenre des Rock, auch bekannt als: Punk-Rock.
 

Die zweite Definition versteht Punk als historischen Bruch. Die alten Lieder sind gesungen, die alten Haltungen haben abgewirtschaftet, die alten Lügen sind durchschaut – Tabula rasa. Punk als nicht mehr hintergehbarer Point of Desillusionierung, wer einmal in dieses Nichts geschaut hat, kann sich nicht mehr abfinden mit dem faden Ersatz, der sich da Leben nennt, ohne den eigenen Selbstbetrug zu spüren, als Stachel im Alltag der Kompromisse. Punk wäre danach ein internalisierter Lügendetektor oder, man muss ja nicht gleich von Stahlbad reden, aber doch ein Säurebad: Wer einmal da durchgegangen ist, der ist imprägniert gegen gewisse Versprechungen und Verführungen. In Terms of Pop ist Punk nach diesem Verständnis die Lizenz, das Alte wegzuhauen und selber was zu tun. Do it yourself.

Selbstverständlich lässt sich Punk als ästhetische und politische Tabula-rasa-Haltung zwischen Frühstück und 24/7-Job nicht widerspruchsfrei durchziehen, schon gar nicht im digitalen Kapitalismus, es sei denn, man nennt Punk Hardcore, verzichtet auf Drogen, Alkohol und Sex und modifiziert das Ganze zu einer synkretistischen Religion, wie es die Straight-Edge-Bewegung in den USA in den Achtzigern getan hat. Für den großen agnostischen Rest bleibt Punk der einsilbige Nenner einer Skepsis, die leicht in Antriebsschwäche ausartet und von der deutschen Band Tocotronic auf einen brauchbaren Begriff gebracht wurde: im Zweifel für den Zweifel. Dieser dem Zweifel verbundene Begriff von Punk gründet keine neuen Genres, schon gar keinen Punk-Rock, stattdessen entdeckt er in neuen Sounds Spurenelemente einer dekonstruktivistischen, destabilisierenden Ästhetik, die Punk und Post-Punk zu allererst so attraktiv gemacht hatte.

Übertragen aufs Kino können wir also unterscheiden zwischen Punk-Rock-Filmen und Punk-Filmen. Also zwischen Filmen, die mehr oder weniger konventionell Geschichten aus der Welt des Punk-Rock erzählen, sei es dokumentarisch oder fiktiv, und Filmen, die Punk als Ausdruck einer ästhetischen und politischen Haltung zur Welt begreifen.

Nach dieser Unterscheidung fallen die ungezählten Dokumentationen bestimmter Phasen der Pop-Musik-Geschichte unter die Kategorie Punk-Rock-Filme. So etwa Wolfgang Bülds vom Geist akzeptierender Sozialarbeit getragene, um Verständnis für die schlechte Laune dieser Jugendlichen werbende Pioniertat »Punk In London« von 1977 oder »1991, »The Year That Punk Broke«, Dave Markeys Dokumentation der gleichnamigen Europatournee von Sonic Youth, die vor allem vom in der Luft liegenden Durchbruch des Phänomens Nirvana lebt und einen wichtigen Mosaikstein im karriereplanerischen Gesamtkunstwerk des Unternehmens Sonic Youth abgibt. »It was the beginning of a musical revolution« – mit diesen weiß auf auf schwarz gesetzten Worten beginnt »Salad Days: A Decade of Punk in Washington, DC« (1980–90), Scott Craw­fords Chronik der Hardcore-Szene Washingtons in den achtziger Jahren. Der Film stammt von 2014 und besucht die virilen Helden von damals, erwartungsgemäß gealtert, breiter geworden, festhaltend an den Insignien von damals, Tattoos, Band-Shirts, Work-Boots, nicht ohne eine gewisse Komik, wenn ein alter Hardcoreler sich so vor dem heimischen Kaminfeuer filmen läßt. A musical revolution... 

Unter den fiktiven Punk-Rock-Filmen gibt es solche, die sich in Genrekonventionen bewegen und diese mit etwas Punk-Flavour garnieren. Etwa die Schulkomödie »Rock 'n' Roll High School« (1979) mit den Ramones als lustigen Punk-Rockern auf den Spuren der Monkees aus der gleichnamigen TV-Serie der Sechziger. Ähnlich funktionieren der Science-Fiction-Film ­»Liquid Sky« (1982), der im drogenbetriebenen New-Wave-Milieu Manhattans spielt, oder »­Breaking Glass«, ein Melodram aus der Londoner Musikwelt der späten Siebziger, das Hazel O’Connor zu einer kurzen Karriere als Sängerin verhalf.

Ungebrochene Popularität im (Punk-)Rock-Umfeld genießt das Biopic. Einem solchen verdanken zum Beispiel Joy Division ihren späten Nachruhm. Eigentlich hatte sich die Band aus Manchester 1980 nach dem Selbstmord ihres Sängers Ian Curtis aufgelöst, um ohne diesen als New Order richtig groß zu werden. Beide Bandnamen sind historisch belastet: In »The House Of Dolls«, dem Buch des ehemaligen KZ-Häftlings Yehiel Feiner, gibt es eine Gruppe von jungen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht zur Prostitution gezwungen werden, um nicht im KZ zu landen. Ihr Name: Joy Division. New Order – Neue Ordnung – war ein zentraler Begriff in der Ideologie des italienischen Faschisten Benito Mussolini. Anton Corbijn bleibt es vorbehalten, den armen Ian Curtis für immer mit Hitlers Sekretärin zu strafen. In seinem Bio-Melodram »Control« lässt der Haus- und Hoffotograf von Herbert Grönemeyer und U2 eine unausgesetzt wispernde und hauchende Alexandra Maria Lara die Geliebte des Joy-Division-Sängers spielen, jene Lara, die ihren Durchbruch hatte als Führers Tippse im »Untergang«. Kein Wunder, dass Ian Curtis sich aufgehängt hat.

In den meisten Punk-Rock-Filmen dient die musikalische Revolte als dekorative Kulisse für Generationen- beziehungsweise Autoritätskonflikte, wie wir sie aus Coming-of-Age-Geschichten kennen. Zum wiederholten Male erzählt der Regisseur Oskar Roehler in seinem neuen Film die Geschichte seiner verkorksten Jugend mit tabletten- und selbstsüchtiger Schriftstellerinmutter und durchgeknalltem RAF-Vater. Nach »Die Unberührbare«, der Melodramfassung mit Hannelore Elsner als Gisela Elsner, muss jetzt Hannelore Hoger Elsners schwarze Exiperücke überziehen und sieht dabei auch nicht lächerlicher aus als diverse Knallchargen, die Blixa Bargeld, Nick Cave und Rainer Werner Fassbinder verkörpern. »Tod den Hippies!! Es lebe der Punk« spielt in der alten Mauerstadt – hier äußerst pittoresk nachempfunden ausgerechnet im heutigen Köln – und scheitert auf groteske Weise bei dem Versuch, die Nöte des jungen Roehler mit einem sogenannten Lebensgefühl namens Punk kurzzuschließen.

»Tod den Hippies!! Es lebe der Punk« (2014) © X-Verleih

Unter den vielen Filmen, die sich die Schauwerte dieser Milieus unter den Nagel reißen, verdienen nur wenige das Prädikat Punk-Film, im Unterschied zum Punk-Rock-Film. Zwei davon greifen selbst aktiv in die Punk-Geschichte ein, indem sie in einer historisch beschleunigten Epoche die Grenzen zwischen Truth & Fiction bewusst unterlaufen. Julien Temples Mockumentary »The Great Rock ’n’ Roll Swindle« erzählt 1980 posthum die Geschichte der soeben verblichenen Sex Pistols als großen Schwindel, als genialisch-situationistisches Musical-Simulacrum, erdacht und umgesetzt von Malcolm McLaren. Drei Jahre zuvor hatten nur Geheimdienste, willfährige Schallplattenhändler, der liebe Gott und andere höhere Mächte verhindern können, dass »God Save the Queen« von den Sex Pistols just am Tag des silbernen Kronjubiläums von Königin Elisabeth II. auf Platz eins der britischen Hitparade erschien (Textprobe für die Nachgeborenen: »God save the queen, the fascist regime... she ain’t no human being«).

Kurz danach, 1978, Punk ist in England auf dem Höhepunkt seines Massenappeals, dreht Derek Jarman »Jubilee«. In seiner Punk-Farce lässt Jarman den royalen Glanz des alten Empire auf ein kaputtes Britannien prallen, das gezeichnet ist vom ewigen Krieg in Irland, vom industriellen Niedergang und – wie wir heute wissen – von der bevorstehenden Machtübernahme durch Margaret Thatcher, die das Land zu einem anderen machen sollte. Ein loser Haufen aus deviant-nihilistisch-queeren Figuren macht das Beste aus der allgemeinen Untergangsstimmung und trägt mit dazu bei, den in der – zumal bundesrepublikanischen – Öffentlichkeit noch wenig konturierten Begriff Punk mit modischem, musikalischem und ideologischem Inventar auszufüllen.

»Jubilee« (1978)

»As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart«, eine der Parolen aus Derek Jarmans »Jubilee«, wird zum festen Bestandteil der Punk-Folklore. Mit Toyah Wilcox und Adam Ant besetzt Jarman zwei kleinere Stars der Londoner Punk-Szene in Hauptrollen, Cameos gibt es von Siouxsie & The Banshees und den Slits.

The Slits. Die Schlitze. Archetypisch konfrontativer Punk-Name für eine Band aus drei Frauen Ende der Siebziger. Auf dem Cover ihres ersten Albums posieren sie nackt bis auf ein Baströckchen, Körper und Gesichter mit braunem Schlamm verschmiert. Der Bandname wendet die Reduzierung auf die Fickfunktion gegen den Aggressor, das Coverfoto repräsentiert weibliche Sexualität im Modus Attacke. So ziemlich die einzige Möglichkeit für drei junge Frauen 1979, eine feministische Position zu beziehen zu einer Zeit, da Feminismus noch als Hippie kontaminiert ist, also Feindesland. Im UK-(Post)-Punk gibt es viele Frauenbands oder Bands, in denen Frauen dominieren, The Raincoats, Delta 5, The Au-Pairs, X-Ray Spex, Siouxsie & The Banshees, Essential Logic... die tollsten sind Ari Up, Palmolive und Viv Albertine, The Slits.

35 Jahre später, mit fast sechzig, spielt Viv Albertine D, die weibliche Hälfte des Künstlerpaares in »Exhibition«. Auch aufgrund dieser Besetzung ist »Exhibition« ein Punk-Film. Wer alt genug ist, sich an die Slits zu erinnern, kann »Exhibition« nicht anschauen, ohne in Viv Albertine die junge Warrior Queen von diesem Album-Cover zu sehen, zumal sie in der Rolle der D ständig nackt ist, im Pool treibend wie eine Tote, sich exhibitionierend als performende Künstlerin und, immer wieder, beim Versuch, Sex zu haben mit ihrem Mann.

»Exhibition« (2013) © Fugu Films

Punk daran ist die absolute – im engen Sinn des Worts – Trostlosigkeit dieser Versuche, also nicht einfach die Tristesse der Alterssexualität, nein: die Tatsache, dass beide sich beschönigende Worte des Trostes verkneifen, weil sie wissen, dass das Gegenüber solche Worte auf der Stelle als Lüge durchschauen und sich davon beleidigt fühlen würde. Einmal sind sie zum Sex verabredet, sie zieht die Gardine zu und sich aus, legt sich zu ihm, schweigend. Er fragt, ob sie ein Vorspiel will, es gehe sonst so schnell. »Ich mag es schnell«, sagt sie, und man(n) denkt: Sie mag es, wenn’s schnell vorbei ist. Es ist die Abwesenheit von Aufmunterung, Beschönigung, Goodwill, Mutmacherei, die »Exhibition« so super macht, bei gleichzeitiger Anwesenheit eines Körpergedächtnisses, das die Exzesse und Transgressionen von damals eben nicht wegspeichert unter »Glorreiche Jugendsünden«. Im Gegenteil: Aufgrund des intakten Körpergedächtnisses werden Ansprüche an die Gegenwart eines sechzig Jahre alten Lebens formuliert, die zwar nicht einzulösen sind, die aber wenigstens im Raum stehen. Was besser ist, als sich damit abzufinden, altersgemäß gar keine Ansprüche mehr zu haben.

In »Exhibition« steckt eben auch die »Atrocity Exhibition« aus J. G. Ballards Roman, aus dem Joy Division – vor Corbijn – den gleichnamigen Song machten, die Ausstellung des Häßlichen, facing reality, blasse britische Körper in diesem gottverdammt stylishen Haus, das jede Gefühlsregung ausstellt. Und jeden Sound verstärkt. Es gibt keinen Score in »Exhibition«, schon gar keinen Punk-Rock, mal dringen Beats durch die Scheiben eines vorbeifahrenden Autos, mal spielt ein Straßenmusiker Tuba. Ansonsten: das Surren der Klimaanlage, Schritte mit Schuhen auf knarrenden Dielen, Schritte barfuß auf federnder Wendeltreppe, draußen ein Presslufthammer, Sirenen, eine elektrische Zahnbürste, das Piepen der Sprechanlage. Sound Verité. »Silence is a rhythm too«, sangen The Slits 1979, »in the beginning there was rhythm.«

»Das Haus hat den kompletten Film bestimmt, und alle Ideen des Films gehen auf das Haus zurück.« Sagt Regisseurin Joanna Hogg. »Ich habe das Haus und seinen Architekten zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre getroffen, und so wurden wir – der Architekt, das Haus und ich – Freunde. Für mich strahlt das Haus sehr viel Wärme aus. Viele sehen das Haus als Symbol der Entfremdung, aber das ist ein Klischee modernistischer Architektur.« Toby Ashraf, der Joanna Hogg für die »taz« interviewt hat, ist seine eigene Beobachtung nicht ganz geheuer: »So wie ›D‹, die Figur aus dem Film, es einmal ausdrückt, war es für mich auch – von diesen Wänden geht etwas aus. Ich will nicht wie ein Hippie klingen, aber für mich geht von diesen Wänden ein Gefühl von Liebe aus. James Melvin hatte das Haus damals für sich und seine Frau gebaut, und das konnte ich gewissermaßen spüren.«

Wenn man erst mal durch Punk gegangen ist, dann kann man auch wieder Hippiegedanken zulassen. Übrigens hat sich Joanna Hogg als junge Fotoassistentin Anfang der 80er Jahre mal eine Super-8-Kamera geliehen, so steht’s im Info zu »Exhibition«. »Von ihrem Freund Derek Jarman.« Punk-Film eben.

Meinung zum Thema

Kommentare

Guten Tag, es wäre toll, wenn Sie für Ihre wunderbaren Artikel Druckversionen einstellen könnten. Oder habe ich die Funktion übersehen ? MfG FSCH

Hallo lieber Leser, am 31.3. erscheint der Artikel als Printversion in unserer neuen Ausgabe. Zudem wird es im Archiv das PDF geben, welches als Abonnent kostenlos heruntergeladen werden kann. Eine extra Druckversion ist deshalb vorerst nicht geplant. Wir wünschen weiterhin viel Spaß an unseren Artikeln und bedanken uns für das Lob!

Schön formuliert, aber wie immer drehen sich die Mißverständnisse im Kreis: 99% Bullshit, was "Punk" angeht. Den Rest erklärt der einzige "Punkfilm" - nein, nicht "Rude Boy", sondern "Out of the Blue".

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