Szenen einer Ehe

»Mahlzeiten« (1967) © Edgar Reitz Filmstiftung

Nach dem »jungen Törless« ein weiterer Debütfilm des Jahres 1966, westdeutscher Beginn des Neuen Deutschen Films: »Mahlzeiten« von Edgar Reitz erzählt von einer Liebe, die nicht hat sollen sein. Und das auf eine sehr moderne, klare Art und Weise, geschult ebenso an Brecht wie an dokumentarischen Formen der Welterforschung. Schnelle Begegnung, schnelles Verliebtsein, die Hoffnung auf die eine große Romanze des Lebens. Schnelle Schwangerschaft, schnelle Hochzeit. Elisabeth und Rolf sitzen auf dem Gleis und kommen nicht runter, bemerken den Schienenverlauf zu spät und können die Notbremse nicht ziehen ohne Schaden an Leib und Seele.

Alles, was eine Frau tut, um keine Kinder zu bekommen, ist ungesund, weiß Elisabeth, und im Gegensatz zur Ehe ist das ständige Suchen nach dem richtigen Mann ein großes Unglück. Was wir über die Protagonisten wissen, das sehen wir nicht nur durch eine distanziert begleitende Kamera, das hören wir auch durch einen distanziert begleitenden Voice Over-Kommentar. Hier wird der Versuch, aus dem Studium und dem Idealismus ins Bürgertum hineinzugleiten beschrieben: Doch die Kinder kommen zu rasch, fünf insgesamt, und überhaupt weiß Elisabeth zuviel darüber, wie das Leben eines Liebespaares mit Ehe und Nachwuchs auszusehen hat. Rolf bleibt erstmal außen vor, seiner Rolle als Ernährer wird er nicht gerecht. Zwischendurch gibt es schöne, romantische, einnehmende Bilder von der Liebe im Heu; Großaufnahmen verliebter Augen; und dann wieder Interviewsituationen mit Elisabeth, die gerne redet wenn es ihr gut geht; und auch, wenn es ihr schlecht geht.

»Mahlzeiten« (1967). © Edgar Reitz Filmstiftung

Es geht um die Vorstellungen, die Menschen von ihrem Leben haben oder haben könnten, es geht darum, woher diese Vorstellungen kommen, vielleicht sind sie einfach Traditionen der Gesellschaft, vielleicht kommen sie von innen heraus? Reitz bleibt immer auf diesem Paar, vor allem auf Elisabeth als aktivem Part: Aktiv in Lebensplanung wie im Kinderkriegen. Die Kinder selbst spart er aus, erst nach der dritten Geburt treten die Kleinen ab und an ins Bild, aber eher als Beiwerk. Ein wirkliches Gespür für das Zusammensein mit Kindern kann man dem Film nicht zusprechen. Dafür aber eines für die ökonomischen Verhältnisse, denn irgendwann wird Geld immer wichtiger, und es bleibt knapp, weil Rolf sein Studium geschmissen hat, es war ihm zuviel; weil er mal abhaut und das Geld als Werftarbeiter in Rotterdam gleich auf den Kopf haut; weil er als Pharmavertreter/Ärzteberater nichts taugt. Die Verhältnisse, sie sind nicht so: Elisabeth hat eine neue Idee, Beitritt in die Mormonenkirche, die nämlich glauben, dass man im Leben glücklich sein sollte, so die Missionare an der Haustür. Das hilft auch nichts. Eine weitere lange, fast dokumentarische Sequenz: Der VW Käfer; ein Schlauch; der Auspuff. Die Mühen, das Auto abzudichten… Und Elisabeth ist nun doch unglücklich auf der Suche. Schlechte Haut, viel Makeup, gezupfte Augenbrauen: Es wären dies heute die Insignien einer Unterschichts-Hartzerin. Die Kinder sind schmutzig und essen Spaghetti vom Boden. Ein Niedergang. Und nicht immer ist jemand schuld.

In Venedig wurde »Mahlzeiten« als bestes Erstlingswerk ausgezeichnet.

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Kommentare

Sollte der beste Film des Jahres sein.

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