Schwierige Entscheidungen

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Am Ende gab es einen tosenden Applaus. Auf der Bühne des altehrwürdigen "Zoo-Palast" im alten Westen hat eine sichtlich ergriffene Regisseurin Doris Dörrie das Team ihres Films »Grüße aus Fukushima« vorgestellt – und die Ovationen wollten nicht aufhören. Nicht jeder Wettbewerbsfilm, der bislang im Wettbewerb der 66. Filmfestspiele lief, hat eine so freundlich-enthusiastische Aufnahme gefunden. Doris Dörrie zeigte ihren Film in der Sektion "Panorama", oftmals genutzt als Testscreening für bald im Kino startende Arthouse-Filme. Nun, für den Kinoeinsatz im März dürften die Reaktionen Hoffnung gemacht haben.

»Grüße aus Fukushima« ist Doris Dörries filmische Rückkehr – nach ihrem preisgekrönten »Hanami – Kirschblüten« (2008) – nach Japan. Aber ihr neuer Film schlägt andere Töne an, ist viel rauer geworden. Die junge Deutsche Marie (Rosalie Thomass) reist nach der Tsunami- und Atomkatastrophe von 2011 nach Japan, um mit der Organisation »Clowns4Help« den ehemaligen Bewohnern der zerstörten Stadt ein bisschen Freude zu bereiten. Bei ihrem Kollgenen Moshe (Moshe Cohen) funktioniert das – aber über sie lacht kaum einer der Überlebenden. Auch im Mittelpunkt von »Grüße aus Fukushima« steht ein wichtiges Thema der diesjährigen Berlinale, Flucht: die Bewohner leben provisorisch am Rand der verstrahlten Zone in Containern und Notunterkünften; die Rückkehr ist ihnen verboten. 

»Bullshit« nennt Satomi (Kaori Momoi) Maries Versuche, die vornehmlich Älteren zu unterhalten. Sie überredet Marie dazu, mit ihr (und einem Geigerzähler) in die Zone zu fahren. Was Marie nicht weiß: Satomi, die letzte Geisha Fukushimas, will nicht mehr zurück und bezieht ihr vollkommen zerstörtes Haus. Und weil Marie schon einmal aus ihrem Leben geflohen war, bleibt sie bei ihr. Dörrie erzählt den schwierigen Prozess der Annäherung der beiden Frauen, deren Leben von Verlust gezeichnet ist, voller Witz und Charme, die knorrige Satomi und die pragmatische und etwas naive Marie. Und er handelt auch vom Beginn des Lebens in der zerstörten Zone, in der kaum ein Haus mehr steht. »Diese Katastrophe ist nicht die Katastrophe Japans, das ist unsere. Und dieses Gefühl der Verbundenheit, das wollte ich erzählen«, sagte Regisseurin Dörrie in Berlin.

Gegenüber dem wunderbar leichten Grundton in Dörries in Schwarzweiß gedrehten Film war »24 Wochen« dann doch eher ein Schwergewicht – aber ein bedeutendes. Der Hochschulabschlussfilm von Anne Zohra Berrached ist der einzige rein deutsche Beitrag im Wettbewerb in diesem Jahr. Darüber hat es im Vorfeld Diskussionen gegeben, und man kann es tatsächlich angesichts der hohen Qualität der Wettbewerbe gerade von Nachwuchsfestivals in der letzten Zeit kaum nachvollziehen. Aber trotz aller Einwände muss man den Festivalmachern um Dieter Kosslick konzedieren: sie haben immerhin den richtigen Film gefunden, einen Film, der sein Publikum so ergreift wie bislang kein anderer im Wettbewerb und über den auch nach dieser Berlinale noch gesprochen werden wird.

Und es ist meisterhaft, wie die 34jährige Regisseurin ihren Film unaufgeregt und doch dramatisch auf die Spitze treibt. Denn eigentlich beginnt alles ganz harmlos: Die Kabarettistin Astrid Lorenz, dargestellt von Julia Jentsch (»Sophie Scholl«), erwartet ihr zweites Kind – und kokettiert damit auch wie weiland Barbara Schöneberger in ihren Shows. Ihr Mann ist ihr Manager, die Familie wohnt in einem Designerhaus irgendwo draußen. Alles in Ordnung. Bei einer Untersuchung, allerdings schon bei fortgeschrittener Schwangerschaft, stellt sich heraus, dass das Kind mit Down-Syndrom geboren werden wird. Die beiden wollen das Kind bekommen, auch wenn ihre Freunde nach dieser Information eher betreten zu Boden blicken und das Kindermädchen hinwerfen will. Bei einer weiteren Routinekontrolle stellt sich heraus, dass das Kind einen schweren Herzfehler hat und wahrscheinlich unmittelbar nach der Geburt operiert werden muss. Berrached hat für die medizinischen Gespräche »echte« Ärzte und Hebammen verwendet, was noch einmal einen Zug der Unmittelbarkeit in den Film hineinbringt. Eine Spätabtreibung kommt in Frage, die in Deutschland in solchen Fällen gesetzlich erlaubt ist. Neun von zehn Müttern entscheiden sich dafür, heißt es einmal im Film. Und Berrached erläutert uns auch die Details: das Kind wird quasi im Leib der Mutter getötet und tot nach einer künstlichen Einleitung der Wehen zur Welt gebracht. Keine einfache Entscheidung. Aber wie immer man das Ganze ethisch oder moralisch bewerten mag: zutiefst menschlich schlägt sich der Film auf die Seite der Mutter, die sich von niemand ihre Entscheidung abnehmen lässt. In die Liste der Bären-Aspiranten hat sich dieser Film schon jetzt eingereiht.

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