Der Blick zurück

Ein Berlinale-Zwischenbericht
»Genius« (2016). Marc Brenner © Pinewood Films

Zweimal Vergangenheitsbeschwörung und ein magischer Film aus China: ein Zwischenbericht mit den letzten Filmen der Berlinale – »Genius« von Michael Grandage, »Alone in Berlin« von Vincent Perez und »Crosscurrent« von Yang Chao

Wer Künstlerbiografien in einen Film übertragen will, der kann in so manche Falle tappen. Denn letzten Endes wird der kreative Prozess, das Transformieren von Wirklichkeit in Kunst, immer rätselhaft und unerklärlich bleiben. Der britische Theaterregisseur Regisseur Michael Grandage, der im Alter von 53 Jahren seinen ersten Film im Wettbewerb der Berlinale zeigte, geht da einen ganz anderen Weg: er übersetzt gewissermaßen Kopfarbeit in Handarbeit. In seinem Film »Genius« geht es um die Beziehung zwischen dem Schriftsteller Thomas Wolfe (1900 – 1938) und dem legendären Verleger und Lektor Maxwell Perkins. Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein können. Der eine ein ungestümer, fast manischer Künstler, der schon einmal auf dem Kühlschrank seine Sätze hinwirft, der andere ein eher biederer, kühler, wenig redender Familienvater mit einem nine-to-five-Job. Man sieht Perkins immer wieder Sätze mit rotem Stift herausstreichen, Anmerkungen am Rande von Texten schreiben.

Eines Tages legt ein Mitarbeiter ein 1000seitiges Typoskript mit dem Titel »O Lost« auf den Tisch von Perkins, und kurz danach hat der Lektor den ungestümen Schriftsteller, dessen Buch bislang von allen anderen Verlagen abgewiesen wurde, vor sich sitzen. Nun, viele Filmminuten später – und 300 Seiten kürzer - wird daraus Wolfes Welterfolg »Schau heimwärts, Engel«, der 1929 erschien, einer der Klassiker der amerikanischen Literatur. Maxwell Perkins, das zeigt ein Schwenk über die Bücherwand in seinem Büro hinter seinem Rücken, hat beim Verlag Scribner's F. Scott Fitzgerald (»Der große Gatsby«) entdeckt und Hemingway herausgebracht; der Film basiert auf der Biografie »Max Perkins: Editor of Genius« von Scott Berg.

»Genius« ist ein ruhig erzählter Film, der sich immer wieder in das gläserne Büro von Perkins zurückzieht, sich auf seine beiden Hauptfiguren konzentriert. Colin Firth spielt Perkins mit aller ihm zur Verfügung stehenden Stoik, Jude Law den Schriftsteller mit überbordendem Temperament. Wenn man eine Prognose wagt, dürften beide für den Darstellerpreis ex aequo auf der Liste stehen. Am Dienstag Abend zeigten sich die beiden zusammen mit Laura Linney (als Perkins' Ehefrau) und Guy Pearce (als Fitzgerald) im Berlinale-Palast dem begeisterten Publikum.

Es gibt nicht viele Außenaufnahmen in »Genius«, die für das Zeitkolorit sorgen sollen, die Suppenküchen der Weltwirtschaftskrise, Wolfes Rückkehr von seiner Europareise auf einem Dampfer, Perkins' herrschaftliches Haus. In »Genius« funktioniert das, in einem anderen Wettbewerbsbeitrag, der die Vergangenheit heraufbeschwören will, nicht. Vincent Perez hat Hans Falladas Roman »Jeder stirbt für sich allein« als »Alone in Berlin« auf englisch verfilmt. Und das leider ziemlich uninspiriert, mit jeder Menge sterilen Straßenszenen mit Naziflaggen und sinnlos hin und her fahrenden historischen Autos. Man kann eine vergangene Zeit nicht allein dadurch evozieren, indem man ein paar rote Fahnen zeigt und Männer, die in SA oder SS-Uniformen herumlaufen, wir müssen es an den Figuren spüren – nicht am Nazi-Kitsch. Und das gelingt Perez leider nur bedingt. Die Geschichte des Ehepaars Wrangel, das nach dem Tod ihres Sohnes selbstgeschriebene aufrührerische Postkarten verteilt, funktioniert nur einigermaßen, wenn sich der Film im letzten Drittel in die Innenräume zurückzieht. Dabei hat der Film mit Brendan Gleeson (an der Seite von Emma Thompson) einen eigentlich großartigen Darsteller, der durch seine Präsenz auch einfache Menschen wie den Werkmeister Quangel darstellen kann.

»Chang Jiang Tu« (2016)

Auch der chinesische Wettbewerbsbeitrag »Chang Jiang Tu« (Crosscurrent) von Yang Chao blickt mit alten Videoaufnahmen aus den achtziger Jahren zurück in die Vergangenheit, allerdings nur als Einsprengsel. »Crosscurrent« ist das Unikum des diesjährigen Wettbewerbs, eine magische Reise auf dem Yangtse flussaufwärts, mit großartigen Bildern und einem Hauch von Joseph Conrads »Heart of Darkness«. Es ist beim ersten Sehen eigentlich nicht möglich, diesen Film auf seine Handlung festzulegen. Ein junger Mann ist mit seinem Onkel unterwegs auf dem Yangtse mit einer rätselhaften Ladung, mit der Lyrik eines namenlosen Dichters, die sich auf Orte entlang des Flusses bezieht, und trifft immer wieder auf eine Frau. Wie ein Bewusstseinsstrom wirkt dieser Film, und auch wenn sich sein Plot nicht wirklich entschlüsselt, die Bilder dieser Reise, die gigantischen Berge entlang des Flusses, die rostigen Flusskähne im Nebel, oder eine ehemals überschwemmte Insel, die von ihren Bewohnern verlassen wurde, bleiben einem noch lange in Erinnerung. Die Wucht der filmischen Poesie hat man, auch in den letzten Jahren nicht, selten so auf der Berlinale gespürt wie in diesem Film. 

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