Ganz Ohr

Die Toten wollen nicht verstummen in Hill House. „Es ist ein böses altes Haus“, berichtet zu Beginn die Erzählstimme aus dem Off, während die Schreckensgeschichte des Landsitzes in New England auf der Leinwand rekapituliert wird, „ein Haus, das traurig geboren wurde.“ Die Chronik der heimgesuchten Immobilie ist mit atonaler Musik unterlegt; die Partitur wird im Verlauf des Films nicht wohliger werden.

Das Grauen geht in „The Haunting“ (Bis das Blut gefriert) fast komplett von der Tonspur aus. Gewiss, die Mauern von Hill House werden zwischendrin mal erschüttert, es scheint auszuschlagen wie ein Baum, und die Wendeltreppe in der Bibliothek könnte zur Todesfalle werden. Aber sonst kommuniziert das Anwesen mit seinen aktuellen Mietern durch furchterregende lautstarke Geräusche. Robert Wise verzichtet konsequent darauf, der Bedrohung ein Antlitz oder eine Gestalt zu geben. Die verzweifelten Schreie der Untoten sind Horror genug. Als der Film 1963 herauskam, war das ein ziemlich modernes Konzept. Das lärmende Remake, das Jan de Bont 1999 drehte, ist ein entsetzliches Missverständnis.

Wise`Meisterwerk ist morgen Abend in einer Reihe zu sehen, die das B-Monie in St. Pauli den „Heldinnen des Horrors“ widmet. Halloween wirft seine Schatten voraus. Heute läuft bereits „Onibaba“ von Kaneto Shindo, den ich stets der wunderbaren Tradition des japanischen Geisterfilms zugeschlagen habe. Dabei sind die Töterinnen sehr diesseitig: True Horror sozusagen. Des weiteren stehen „A Field in England“, „Lamb“, „Des Teufels Bad“ und „The Witch“ auf dem Programm. Letzteren, den Robert Eggers im Untertitel „A New England Folktale“ nennt, habe ich erst unlängst entdeckt. Wie Ben Wheatrlys „A Field in England“ ist er präzis in der Historie verortet. Er setzt 1630 ein, spielt mithin unter den ersten Siedlern in der Neuen Welt. „Wir verließen unsere Welt – aber um was zu finden?“ heißt es eingangs. Eggers weiht sein Publikum in eine streng puritanisch geordnete Gesellschaft ein. Seine Titelheldin, eines von fünf Kindern, wächst auf in einem Tumult der Gefühle, der Zerrissenheit zwischen Religiosität und einer rauen, kreatürlichen Szenerie. Das Leben besitzt stets Härte und Wucht an den Orten, in die Eggers seine Figuren stellt. Die Wildnis mag von unfassbarer Weite sein, ist aber letztlich ein Gefängnis. „The Witch“ entführt in eine Welt, deren Gesetzen man nicht genügen kann. Ihrem Bruder Caleb fällt das Dekolleté der Titelheldin immer wieder ins Auge. Später erbricht er einen blutigen Apfel. Die Ansicht des kleinen Jungen, der mit einem riesigen Gewehr durch den Wald irrt, ist eine treffliche Chiffre für existenzielle Verlorenheit.

Eggers liefert gleichsam die Vorgeschichte zu den Schrecknissen, die das mittlerweile tückisch beschauliche New England in Wise' Film heimsuchen. Shirley Jackson, die Autorin der Vorlage „The Haunting of Hill House“, wird seit einigen Jahren massiv wiederentdeckt als eine visionäre Außenseiterin in der US-amerikanischen Literatur der Nachkriegszeit. Dass der Stoff bei Wise landete, ist ein kapitaler Glücksfall: Wer wäre besser geeignet, einen Film über das Übersinnliche zu drehen, als ein derart nüchternen, rationaler Regisseur? Wise hat zwar bei Val Lewton mit Gruselfilmen begonnen, mithin gleich bei einem Meister des Indirekten, Untergründigen gelernt. Später fügte er dem Genre mit „Audrey Rose“ ein, wenn mich die Erinnerung nicht trügt, beachtliches Werk hinzu. Die Möglichkeit, dass es neben dieser noch andere Welten geben könnte, zog er mit gewissermaßen agnostischer Offenheit in Betracht: „Wer weiß?“ Dementsprechend handelt „The Haunting“ von einem wissenschaftlichen Experiment.

Ein Professor für Anthropologie (Richard Johnson), den das Okkulte fasziniert, will die rätselhaften Phänomene in Hill House untersuchen und lädt dazu zwei Medien ein, Eleanor (Julie Harris) und Theo (Claire Bloom). Deren kompletter Vorname ist ein Zungenbrecher, die männliche Kurzform wiederum deutet bereits an, dass sie lesbisch ist. Der dritte Gast ist der Neffe des Hausbesitzers (Russ Tamblyn, frisch aus Wise' „West Side Story“), dessen zynische Skepsis ein hinreichender Rekrutierungsgrund ist („He's a card shark.“ „Good, that's a strong sign for self-preservation.“). Neben den Fährnissen dieser bedrohlichen Geräuschwelt herrschen starke Binnenspannungen in diesem Quartett (auch erotische, aber anders als erwartet). Die Besucher werden mit verdrängten Traumata konfrontiert. Bloom ist exzellent wie immer, aber Julie Harris rückt zusehends in den Fokus. Ihre Seelengeschichte ist die einer schmerzvoll unmöglichen Flucht (vor der Bindung an ihre gebrechliche Mutter), die sich im Hill House in eine unausweichliche Anziehung verwandelt und in eine tragische Zugehörigkeit mündet. Mench, wieder einmal eine Menge Adjektive! Gleichviel, „Bis das Blut gefriert“ fügt sich  fabelhaft ins Thema feministischer Horrorfilme. Zumal später auch noch Lois Maxvell (genau: Miss Moneypenny) als Ehefrau des Professors auftritt, die zwar höchst pragmatisch wirkt, aber ebenfalls nicht gegen die akustischen Heimsuchungen gefeit ist.

 

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