Beim Film haben wir Mikrofone
Es gibt Sätze, die sofort einleuchten und zugleich völlig unklar sind. Nehmen wir nur einmal folgende Regieanweisung: „Ronny, sei doch mal normal!“ Sie entspricht einem verständlichen Wunsch und verlangt Unerhörtes: Wie stellt ein Schauspieler das her? In den meisten Fällen ist sie wahrscheinlich ziemlich nutzlos. Dabei benennt sie das Paradoxon, dem Dominik Grafs neues Buch seinen Titel verdankt.
Als „Sein oder Spielen“ am letzten Donnerstag im Cinema Paris in Berlin vorgestellt wurde, war die Aufforderung für einen Lacher gut. Der Regisseur und sein Darsteller schmunzelten abwechselnd darüber: eine Schimäre, ebenso erhaben wie belustigend. Der Satz fiel während des Drehs zu „Der Rote Kakadu“, der ersten Zusammenarbeit von Graf und Ronald Zehrfeld. Es war zugleich die erste Kinorolle für den Schauspieler, der vom Theater kam und an der Hochschule Ernst Busch eine mit Sicherheit exzellente Ausbildung absolviert hatte. Was er dort und dort gelernt hatte, musste ihm der Regisseur erst einmal austreiben. „Ronny“ stützte die Dialoge noch viel zu stark mit seiner Bühnenstimme (siehe Überschrift), er musste erst entdecken, dass er weniger, viel weniger "machen“ konnte. Es war ein schönes Adjektiv, das Zehrfeld immer wieder auf den Bühnenstil anwandte: „fest“. Das versteht man sofort, für Graf bedeutete es: wenig modulationsfähig. Nach acht gemeinsamen Arbeiten hat sich das längst gelegt, aber Zehrfeld gesteht, dass er auch heute erst einmal drei, vier Drehtage braucht, um in eine Figur hineinzufinden.
Peter Körte, der Moderator der Buchpremiere, wusste ebenfalls, dass in seiner Rolle weniger mehr ist. Er konnte darauf vertrauen, dass die Zwei sich die Bälle zu spielen und sie stets hoch fliegen. Wer hätte Graf schon jemals eine dumme Antwort entlockt? Und Zehrfeld gab sich genauso, wie es einem Schauspieler gut ansteht: bescheiden und selbstbewusst, ehrfürchtig auf eigensinnige Weise, und dabei ausnehmend jovial. Man duzte einander auf dem Podium. Derart unumwundene Vertrautheit kann auch eine Ausladung ans Publikum sein, schuf an diesem Abend aber ein Klima der Familiarität, das in den vollbesetzten Kinosaal übersprang.
Das Gegenbild zum „Weniger ist mehr“ ist laut Zehrfeld das Spielvieh, aber es gibt seiner Erfahrung nach noch ein zweites, die Kartoffel, von der keine Renonanz kommt. Bei der Zusammenarbeit ist selbstverständlich das Vertrauen wichtig, aber bei Graf hörte er eben von Anfang an auch Begriffe und Beschreibungen, mit denen er etwas anfangen konnte. Dabei sei Regie führen eigentlich eine Anmaßung, meinte Graf - eine Aussage, die merkwürdig folgenlos blieb im Gespräch. In „Sein oder Spielen“ nennt er die Schauspielinszenierung etwas, das die persönliche Handschrift eines Regisseurs ebenso prägt wie die Erzählhaltung und die Kameraführung. In seinem Fall war das auch ein Aufbegehren gegen die vorangegangene Generation, den Neuen Deutschen Film, der bei Fassbinder, Herzog, Schlöndorff und den anderen einen auf je eigene Weise hermetischen Dialog- und Schauspielstil hervorbrachte. Sein Programm als junger Filmemacher bestand darin, sich von der Bürde der Filmkunst zu befreien. Es galt und gilt immer noch, Gepflogenheiten aus dem Weg zu räumen. In den 1980ern ging es darum, eine vitale Alltäglichkeit ins Fernsehen und ins Kino zu bringen. Das gelang ihm zum Beispiel in seinen Folgen für die dringend wieder zu entdeckende Serie „Der Fahnder“ mit Klaus Wennemann und wurde in der Zusammenarbeit mit Götz George (zwei Schimanskis, wenn ich recht gezählt habe, und „Die Katze“) zu einem spannungsvollen, ertragreichen Tauziehen. Dazu las er ein Kapitel vor.
Es fand übrigens eine Art Stabübergabe zwischen George und Zehrfeld statt (in der Schimanski-Folge „Tod in der Siedlung“ - ohne Grafs Zutun wohlgemerkt, Regie führte Torsten C. Fischer). „Du kommst, ich gehe“ sagte der Veteran damals zu dem Anfänger. Das war ein wenig voreilig in Georges Fall, aber nicht verkehrt im Bezug auf Zehrfeld. War es ein Kompliment, wie der Schauspieler an diesem Abend sagte, oder eher ein Ansporn? Ohne ein Epigone zu sein, arbeitet er ja auch sehr gestisch.
In einer zweiten Passage, die Graf aus dem Buch vorlas, geht es um die Arbeit mit Schauspielerinnen. Für ihn war Isabelle Adjanis Auftritt in „Ein mörderischer Sommer“ ein epochaler Wendepunkt. Seine Begeisterung teile ich heute immer noch nicht ganz, aber sie auf jeden Fall so tief und klug, dass ich sie respektiere. Eine gemeinsame Entdeckungsreise war die Arbeit mit Martina Gedeck an drei Filmen, die ich als sehr unterschiedlich erinnere. (Ich bin noch nicht durch mit dem Buch, aber mich würde auch interessieren, was er über Verena Altenberger und Johanna Wokalek sagt.) „Sein oder Spielen“ ist ein Füllhorn solcher Konjunktionen, die einen überraschenden,auch selbstkritischen Blick in die Werkstatt des Regisseurs eröffnen. Ich vermute, Graf hat mit Gewinn Béla Balász wiedergelesen.Frank Arnolds ausführliche Rezension können Sie auf der Website von epd Film lesen.
Kurz wurde an dem Abend auch die Arbeit mit Laien thematisiert. Graf hat sie vor allem bei Polizisten zu schätzen gelernt, die einen glaubhaft gestischen Umgang mit ihrer Ausrüstung beherrschen. Indes hatte er auch mit der renitenten Fraktion zu tun, die Regieanweisung gern auch mal mit einem "Spiel's doch sellbst!" kontern.Von Authentizität faselten er und Gleichgesinnte in den 1980ern noch nicht, sie hatten eher eine temperamentvollen Realismus im Auge, der mehr herausspielt, als in den Dialogen steht. Das Spielen nach Drehbuch entspricht aber nach wie vor den Sehnsüchten von Dramaturgen, Redakteuren und Produzenten, schreibt er im Buch. An diesem Abend sah er aber auch noch eine andere Schimäre wiederkehren: die Innerlichkeit des Spiels, die mit dem Neuen Deutschen Film den Ton angab und im aktuellen Autorenfilm erneut. Graf ist ohnehin ein Spezialist darin, bestimmte Moden und Paradigmen im Schauspiel klar zu erfassen. Der Moment, als James Dean in „Giganten“ sich ganz auf seine Requisiten konzentriert und nie einen Blick mit seinen Partnern wechselt, prägte später eine ganze Generation von Gangsterfilmen, wo die Darsteller demonstrativ woanders hinschauen und ihre Gegenüber ignorieren.
Für ein paar Fragen aus dem Publikum war am Ende des Abends noch Zeit. Ob das Buch eine Autobiographie sei, fragte eine Frau im Publikum, die Graf mit Vornamen ansprach. Nein, erwiderte er entschieden, wohl aber die Bilanz einer Seh- und Arbeitskarriere. Eine andere Zuhörerin erfragte von dem Dreigestirn zum Abschluss ihre Lieblingsfilme. Von Zehrfeld und Körte erinnere ich nur zwei davon („Spur der Steine“ und „The Big Lebowski“ bzw. „Heat“ und überraschenderweise „Gladiator“), Graf hingegen brachte die Frage zunächst in eine gewisse Verlegenheit, die er dann zwar monothematisch, aber fulminant überwand: dreimal „Bad Timing“ von Nicolas Roeg! Der war ein Film maudit, als er 1980 herauskam, ein Streitfall, der seither fast zu einem Klassiker avanciert ist (er gehört auch zu den absoluten Favoriten von Joanna Hogg und Todd Haynes). Ich habe ihn mir sofort angeschaut, nachdem ich ihn bisher nie bis zum Ende durchgestanden hatte. Grafs Wahl leuchtet mir inzwischen ein, aber Rätsel gibt sie mir nach wie vor auf.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns