Diaspora? Dezentralisierung!

Als die Deutsche Kinemathek am vergangenen Dienstag bekanntgab, welchen neuen Standort sie in einem Jahr beziehen wird, fiel die Nachricht einem bemerkenswerten Verdrängungswettbewerb zum Opfer. Auch ein endlich gelüftetes Geheimnis, über das in Berlin und anderswo eifrig gerätselt wurde, ist nicht dagegen gefeit, von der Meldung der Oscar-Nominierungen überschattet werden.

Andererseits: Wer hätte vorausahnen können, dass in den Feuilletons an diesem Nachtmittag die Stunde der Patrioten schlagen würde? Eine Nominierung für den besten Auslandsfilm (Das Lehrerzimmer) und zwei halbe (Sandra Hüller als beste Hauptdarstellerin in einem französischen Film und Wim Wenders als Regisseur des japanischen Wettbewerbers) mussten gefeiert werden. Das klang tatsächlich sensationell, auch wenn es sich um etwas geborgten Glanz handelte. Der Aufschrei #OscarsSoDeutsch wird sich wohl in Grenzen halten.

In dem Interview, das ich mit Rainer Rother für das Februar-Heft geführt habe (es ist bereits online), spricht der künstlerische Direktor der Kinemathek ausführlich und zuversichtlich über die Zwischenlösung, die für sein Haus gefunden wurde: das E-Werk in der Mauerstraße. Zur Vorbereitung des Gesprächs hörte ich mir noch einmal den Mitschnitt einer Diskussion an, die im letzten November gemeinsam von der Berliner Akademie der Künste und dem Verband der deutschen Filmkritik veranstaltet wurde. (https://www.vdfk.de/podiumsgespraech-welches-kino-willst-du-berlin-17-11-2023-19-uhr-akademie-der-kuenste-hanseatenweg-5001) Da gibt’s auch einen Link zum Mitschnitt, der aber leider ins Leere führt. Meines Wissens nach wurde über die Veranstaltung, die nicht nur für Berliner Kinogänger von Interesse ist, bisher nichts veröffentlicht. Deshalb will ich im Vorfeld der Berlinale von ihr berichten, zumal ihr Ausgangspunkt der Abschied vom Filmhaus war, der im Februar 2025 ansteht.

Jutta Brückners eindrucksvoller, konziser Eröffnungsvortrag hatte mit dem Thema des Abends indes wenig zu tun (bei ihr ging es eher um die Frage; wie und welche Filme hier zu Lande derzeit entstehen) er wird sicher bei anderer Gelegenheit und ausführlicher in Erscheinung treten. Christoph Hochhäusler hielt im Anschluss ein Impulsreferat. Wer diesen Regisseur einlädt, bestellt einen funkelnden, unverzagten Utopisten. Er hob jedoch ungeahnt makaber an, mit einem Witz über das Berliner Arsenal. "Das Kino ist gerettet", lautet der, "es zieht auf einen Friedhof um. Aber das Grab ist noch nicht fertig." Der funktioniert nur für Insider, aber das waren alle an diesem Novemberabend. Dennoch zur Erklärung: Das Arsenal zieht ins Silent Green um, das im ehemaligen Krematorium im Wedding ansässig ist. Das solle kein böses Omen sein, meinte der Referent. Aber die Friedhofsstimmung wollte sich vorerst nicht legen. Sein Referat war einerseits eine Chronik des Verschwindens. (Es sind ja auch so viele Säle verloren gegangen!) Das Zeughauskino spielt derzeit in einer reduzierten, unbefriedigenden Zwischenlösung; das Kino International verabschiedet sich nach Ende der Feiern zum 60. Jubiläum in die Sanierung. Die Kinemathek hat seit 1963 keinen Kinosaal ("Bitte alle einmal den Kopf schütteln."), und das Babylon Mitte, das als Kommunales Kino subventioniert wird, zeigt partout kein "satisfaktionsfähiges" Programm. Aber Hochhäusler kehrte rasch ins Leben zurück, zeigte eine weltweite Auswahl architektonisch und auch sonst eindrucksvoller Filmpaläste und beschwor wortreich den Erlebnisort Kino. Einen hübschen Steinbruch seiner Ideen finden Sie hier: http://parallelfilm.blogspot.com/2023/11/kino.html (leider funktioniert auch bei ihm der link zur Aufzeichnung nicht.) Mit der Ankündigung seines neuen, ersten französischsprachigen Films »La mort viendra« schloss sich der Kreis. Aber der kommt hoffentlich in Kinos, die Tempel des Lebens sind.

Hannah Pilarczyk vom Filmkritikerverband moderierte die folgende Diskussion lässig. Auch darin ging es um allerlei Umzüge. Die DFFB, die Berliner Filmhochschule, verlässt ihren Standort am Potsdamer Platz und geht nach Moabit. Stefanie Schulte Strathaus vom Arsenal weint der bisherigen Adresse an der Potsdamer Straße keine Träne nach. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in der Architektur des bisherigen Filmhauses. Sie war wenig einladend für Kinogänger und dort es kaum Arbeitsplätze, die zu Kommunikation ermutigen. Eine echte Schlagkraft hat der Ort nie besessen, trotz gewisser Synergieeffekte. (Rother unterstrich die gelungene Zusammenarbeit ihrer Institutionen; allerdings habe man sich früh gemeinsam darüber ausgetauscht, was nach 2025 geschehen soll.) Endgültig kann das Arsenal das schöne Silent Green aber erst mit Verspätung beziehen, in den zehn Monaten bis dahin wird es an anderen Orten in Berlin, Deutschland und international gastieren. Lustvoll malte sie dieses Nomadentum aus, das aus der Not geboren wurde, aber Strahlkraft entwickeln könnte. Die große Aufgabe danach besteht darin, das Publikum zu motivieren, mitzukommen.

Malve Lippman vom Sinema Transtopia ist das Nomadentum hingegen aus langer Erfahrung gewohnt; im letzten Jahr hat sich ihr Haus aber (vorerst?) im Wedding niedergelassen - und das Publikum kam mit. Hochhäusler deutete in einem Zwischenruf das Unbehaustsein als Chance, in Nischen zu gehen, in denen Leben herrscht. Ihn faszinieren fluide Übergangszeiten ohnehin, in denen der Kinobesuch niederschwelliger wird und die Orte nicht "pharaonenhaft" bleiben müssen.

Der Rote Weddiing, wer will denn dahin? meldete sich eine Stimme aus dem Publikum zu Wort. Sie war als Kinogängerin im alten Berliner Westen sozialisiert worden, wo viele Kiezkinos inzwischen aufgegeben haben/wurden. Der Einwurf löste vehementen Protest aus. Berlin sei eine Stadt im Wandel, in der sie sich die Szenen und Communities unaufhörlich verlagern. Die Ströme des Ansiedelns verändern sich stetig, insbesondere mit einem potenziell jüngeren Publikum.

Als das Gespräch fürs Publikum geöffnet wurde, tat sich jäh ein Schisma auf, über das sich im Vorfeld offenbar keiner der Veranstalter so recht Gedanken gemacht hatte. Auf dem Podium saßen, mit Ausnahme von Malve Lippmann, nur Vertreter subventionierter Institutionen. Hier stießen zwei Welten aufeinander, meinte Gabriel Hageni, Theaterleiter des Kino Krokodil, der die Präsenz von "kommerziellen" Filmtheatern auf dem Podium vermisste. Die einzigen Fördermittel für privat betriebene Kinos bestehen in Auszeichnungen für das Jahresprogramm. Sein Haus, das auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken kann und sich den Kinematoghraphien Osteuropas widmet, wurde 2023 mit dem Dokumentarfilmpreis abgespeist. Das ist die niedrigste Stufe. Die verdienstvolle Brotfabrik war im letzten Jahr überhaupt nicht ausgezeichnet worden für ihr anspruchsvolles Programm. Statt dessen bekamen lauter Kinos Preise, die »Barbie« spielten. Ein Traditionskino in Wilmersdorf, die Eva-Lichtspiele, inzwischen 110 Jahre alt, kämpft derweil ums nackte Überleben. Es erlaubt sich den Luxus, einmal in der Woche noch analoge Filmkopien vorzuführen und zeigt darüber hinaus ein lebendiges, aktuelles Programm. Aber reicht das, um die horrende Miete zu zahlen. Das Weniger ist mehr, von dem Stefanie Schulze Strathaus missverständlich auf dem Podium sprach (sie meinte den kleineren Kinosaal, den das Arsenal im Wedding bespielen wird), funktioniert für kleine Kinos nicht, warf eine Vertreterin des Kreuzberger fsk ein. Sie haben ganz andere Nöte.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt