Écriture féminine: Die Einsamkeit teilen

Während der Interview-Tourneen, die er zum Start seines letzten Bond-Auftritts absolvierte, zeigte sich Daniel Craig als ein Super-Feminist. Diese Rolle füllte er gleichermaßen galant wie rigoros aus. Auf eine Frage reagierte er besonders unwirsch. Eine britische Radiomoderatorin wollte wissen, ob Phoebe Waller-Bridge vor allem deshalb als Mit-Autorin von »Keine Zeit zu sterben« verpflichtet wurde, um den weiblichen Charakteren mehr Kontur zu verleihen.

Auf diese Diskussion werde er sich gar nicht erst einlassen, schimpfte der Schauspieler, sie sei sexistisch und engstirnig: Waller-Bridge wurde selbstverständlich als eine generell hervorragende Autorin engagiert, nicht als Spezialistin. Die Team eines anderen Films mit eminent feministischer Agenda, »The Last Duel«, verfuhren in dieser Frage weniger dogmatisch. Sie machten keinen Helh aus den Gründen, weshalb Nicole Holofcener, von Haus aus eigentlich Independent-Regisseurin, am Drehbuch mitwirkte. Sie sollte die weibliche Hauptfigur Marguerite de Carrouges nachbessern und stärken.

Die Urheberschaft des Ritterfilms war für mich ohnehin zunächst ein faszinierendes Rätsel: Wer kam zuerst, Holofcener oder das Gespann Affleck und Damon, das seit »Good Will Hunting« kein Drehbuch mehr geschrieben hatte? Tatsächlich handelt es sich dabei um ein offenes Geheimnis, die gemeinsame Autorenschaft war gar Teil der Publicitystrategie des Films, wurde in der "New York Times" und anderswo ausführlich dargelegt. Holofcener selbst erläuterte in Interviews, unter anderem mit "Vanity Fair", was ihre ursprüngliche Rolle war und wie diese sich veränderte. Ursprünglich sollte sie den dritten Akt schreiben, der aus Marguerites Perspektive erzählt ist (und in dem die Wahrheit herauskommt - achten Sie nur einmal darauf, wie viel länger der Zwischentitel »The Truth« stehen bleibt), wurde dann aber immer wieder von Affleck&Damon gebeten, Szenen in den ersten beiden Akten zu überarbeiten und zu ergänzen. Es ging also kreativ hin und her. Die "weibliche" Sensibilität blieb nicht allein Holofceners Domäne, sondern war auch das Resultat eines Austauschs, eines wechselseitigen Anknüpfens.

Wer was zu einem Drehbuch beigetragen hat, ist meist ein Rätselspiel. Einige Handschriften glaubt man zu erkennen, aber in der Regel handelt es sich dabei eher um vermutete thematische Kontinuitäten. Das ist die Kritiker-, die Betrachterperspektive, die mit dem tatsächlichen Schreibprozess nichts zu tun haben muss. Natürlich steht kein Autor am Morgen auf und nimmt sich vor: In Szene 43 und 67 bringe ich heute meine thematischen Obsessionen unter. Wahrscheinlicher ist eher, dass unweigerlich stilistische Eigenheiten einfließen. Noch wahrscheinlicher ist, dass es manchmal einfach nur um die Lösung dramaturgischer Probleme geht, also um Handwerk und das Genie des Augenblicks.

Die Drehbucharbeiten von Audrey Diwan stellen hier ein interessantes Forschungsgebiet dar. In ihnen kann sie Spannungsdramaturgien und erzählerische Bögen ausprobieren, die, wenngleich in anderer Form, auch »Das Ereignis« prägen. Unbestreitbare Erkenntnisse kann ich nicht versprechen. Der Nebel wird sich womöglich nicht einmal lichten, wenn demnächst „November“ herauskommt, der erste Film von Cédric Jimenez, den sie nicht mitgeschrieben hat. In »La French« (Der Unbestechliche – Tödliches Marseille) glaube ich, ihre Handschrift in Ansätzen zu entdecken. Das ist eine Art inoffizielle Fortsetzung von »Frech Connection II«, wo 1975 ein integrer Richter gegen den Drogenhandel kämpft. Der Boss, der die Fäden zieht, bleibt unsichtbar, seine Macht ruht auf dem Schweigen der Komplizen und Opfer. Da mag es eine Verbindung zu »Das Ereignis« geben, wo das Tabu des Schwangerschaftsabbruch mit dem Verschweigen einhergeht, das die Heldin umso einsamer werden lässt. Das Milieu in »La French« ist misogyn. "Wie soll man eine Frau respektieren", fragt ein Gangster verächtlich, "die sich auszieht, bevor man sie fragt?" In einer Bar findet ein Massaker statt, das zunächst aus der Sicht einer Frau gefilmt ist, ohne dass deren Perspektive jedoch später aufrechterhalten wird.

»HhhH« aka »The Man with the Iron Heart« (Die Macht des Bösen), die Adaption des Romans von Laurent Binet über das Attentat auf Richard Heydrich, hingegen scheint erst einmal von weiblicher Ermächtigung zu handeln. Heydrich ist anfangs ein zielloser, undisziplinierter Offizier, der erst Karriere macht, als seine Frau ihn in Nazi-Kreise einführt und in deren Ideologie einweiht. Eine Lady-Macbeth-Figur, die gleichsam ein Gleichgewicht zwischen toxischer Männlichkeit und Weiblichkeit herstellt. Jimenez inszeniert Heydrichs Aufstieg wie einen Gangsterfilm, atemlos und rissig montiert, keine Szene darf sich entwickeln, ist nur ein Platzhalter für die nächste. Ein Film, der viel zeigt und nichts sieht, dachte ich in der ersten Hälfte, die allzu fasziniert ist vom Bösen. Ein Drehbuchprinzip besteht darin, stets zwei Situationen zur selben Zeit zu zeigen. Dann schwenkt er um, nimmt die Perspektive der zwei Attentäter ein, wirkt nicht mehr so gehetzt und wird einfühlsamer. Er wandelt sich nachdrücklich, hat einen Blick für Opfer wie für Täter. Ist das Diwans Beitrag? Ich möchte es gern glauben. Ihren Beitrag zum Polizeifilm »BAC Nord«, dem ersten heimischen Kassenerfolg während der Pandemie, spielt Diwan herunter. Das Buch entstand, während sie sich von Jimenez trennte; man vermisst sie als ein Korrektiv.

Einen Bruch gibt es auch in Céline Sciammas Werdegang als Drehbuchautorin. Ihre Ankündigung, nicht mehr für andere zu schreiben, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass die Arbeit an »Wo in Paris die Sonne aufgeht« alles andere als reibungslos verlief. Anscheinend bekamen sie und Jacques Audiard die Adaption der graphischen Novellen von Adrian Tomine beim ersten Versuch partout nicht in den Griff. Ich würde es bedauern, wenn Sciammas Entscheidung unwiderruflich wäre. In ihren Drehbucharbeiten steckt offensichtlich viel erzählerisches Herzblut.

Andererseits ist sie eben auch eine hervorragende Szenaristin ihrer eigenen Regiearbeiten. Am Anfang von »Water Lillies«, »Tomboy« und »Mädchenbande« steht oft ein Gefühl des Schwebens. Sie heben an mit dem Erleben der Schwerelosigkeit. Ihre Figuren spüren ein Versprechen von Freiheit, das sich in der Bewegung fast schon erfüllt. Und wenn es gut geht, stellt sich dieses Gefühl auch am Ende wieder ein. In ihren Drehbucharbeiten für andere finden die Höhenflüge gleichsam in Stellvertretung statt. Zu Beginn von »Mein Leben als Zucchini« lässt der Titelheld, der eigentlich den luftigen Namen Icare trägt, einen Drachen steigen. Das ist ein trauriges Glück, denn darauf hat er einen Superhelden gemalt, der für ihn seinen verstorbenen Vater symbolisiert. Ein fernes Echo dieses Motivs erklingt im Drehbuch zu »Mit Siebzehn«, wo es einen ebenfalls abwesenden Vater gibt, der sich seinen Kindheitstraum, Pilot zu werden, erfüllt hat.

Die Exposition von »Mädchenbande« führt ihre Doppelbegabung als Szenaristin und Regisseurin wunderbar vor Augen. Die Siegesfeier der Football-Mannschaft ist lebhaft und vielstimmig. Allmählich löst sie sich auf. Die Kamera folgt der euphorischen Gruppe, aus der sich immer mehr Spielerinnen verabschieden, bis am Ende nur Marieme übrigbleibt, die der Film bis nach Hause begleitet. Das Substraktionsverfahren dieser Sequenz demonstriert, wie sie ihre Erzählung zusehends fokussiert und fortan in »Porträt einer jungen Frau in Flammen« und »Petite Maman«. Die Außenwelt weiter in den Hintergrund verschiebt.

Das Kino, sagt Sciamma, ist der einzige Ort, an dem man die Einsamkeit eines Anderen teilen kann. Ihre Filme/ Drehbücher setzen in Lebensphasen ein, in denen sie besonders stark zu spüren ist: der Kindheit und dem Heranwachsen. Den Heldinnen ihrer ersten Regiearbeiten wird der eigene Körper fremd. Die Freundschaften, die sie schließen, sind spannungsvoll. Die Gefühle zirkulieren, nie geht es ohne Lüge, Verrat und Enttäuschung ab. Die Konflikte entladen sich in Gewalt, die als Ermächtigung erfahren, aber auch ritualisiert werden kann wie beim Football. Als die zwei verfeindeten, insgeheim verliebten Schulkameraden aus „Mit Siebzehn“ im Kampfsport unterwiesen werden, müssen sich ihre Raufereien plötzlich Regeln unterwerfen und die Feindschaft büßt ihre Beweggründe ein. Die Annäherungen sind vieldeutig bei Sciamma. Ihre Geschichten drängen darauf, dass der Prozess des Selbstwerdens gelingt. Ihr Grundimpuls ist die Ermutigung. Zucchini wird am Ende seinen Drachen wieder steigen lassen, aber diesmal ist er nicht allein.

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