Kritik zu Good Will Hunting

Trailer englisch © Miramax

1997
Original-Titel: 
Good Will Hunting
Filmstart in Deutschland: 
19.02.1998
L: 
126 Min
FSK: 
12

Er hat ein außergewöhnliche photographisches Gedächtnis . Er ist ein mathematisches Genie und kann lange Passagen aus Büchern auswen­dig hersagen. Aber mühsam muß er das lernen, was man nicht berechnen und was man keinem Buch entnehmen kann: die Erfahrung des Ver­trauens, das Einmaleins der Liebe. Er heißt Will Hunting und wird von Matt Damon ge­spielt, der auch - zusammen mit Ben Affleck (der in der Rolle von Wills Freund Chuckie zu sehen ist) - das Drehbuch zum Film geschrie­ben hat

Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Im Originaltitel steckt ein ironisches Wort­ spiel mit dem "good will". Denn der "gute Will" ist gar nicht "gutwillig", im Gegenteil. Er ist widerwillig, läßt nichts und niemanden an sich heran, hat sich hinter einer Mauer aus Miß­trauen und Abwehr verschanzt. Wie diese Mau­er Schritt für Schritt ins Wanken gerät und schließlich zusammenkracht, davon erzählt Gus Van Sants Film. Eine Geschichte vom Er­wachsenwerden, vom Verletzlichwerden, vom Liebelernen, erzählt mit viel Dialog- Witz, Cha­rakter- und Wahrhaftigkeit und spielerischem Elan, so daß sich die Erschütterungen des Hel­den glaubwürdig und bewegend mitteilen.

Vier Freunde um die zwanzig leben in Bos­ton-Süd, einem Arbeiterviertel. Sie machen Ge­legenheitsjobs, prügeln sich mit Jungs anderer Cliquen, besuchen ein Baseball-Spiel im Viertel, kutschieren im Auto herum, suchen nach Mädchen in Studenten-Kneipen und bekom­men prompt auch dort Streit. Sie werden von der Polizei aufgegriffen, haben ein beachtliches Vorstrafenregister.

Der Anfang des Films ist Milieuschilderung. Man muß dazu wissen, daß Damon und Af­fleck - die beiden Darsteller und Drehbuchau­toren, die das Filmprojekt ausgeheckt haben - in Boston aufgewachsen sind und ,,ihrer" Stadt eine wichtige Rolle im Film zugedacht haben. Die Stadt soll das Spannungsfeld in der Gegen­sätzlichkeit des Milieus und der sozialen Klas­sen bieten, sich zugleich als vertraute Nachbar­schaft und als abweisendes Fremdland zeigen. Gus Van Sant hat dieses Stadtbild mit unprä­tentiösem, dokumentierendem Gestus skizziert In der Universität hat Will einen Job als Raum­pfleger. Er wischt den Boden und entdeckt auf einer Tafel im Flur eine schwierige mathemati­sche Aufgabe. Mathematikprofessor Lambeau hat sie als besonders knifflige Preisaufgabe sei­nen Studenten gestellt. Jetzt offenbart sich Will als mathematisches Genie. Ohne viel Umstän­de greift er zur Kreide und schüttelt die Formel aus dem Ärmel.

Professor Lambeau sucht nach dem geheim­nisvollen Studenten, der die Aufgabe lösen konnte. Schließlich stößt er auf Will und ent­deckt, daß dieser ein Genie ist. Will hat nie ein College besucht, aber er hat sich als Autodidakt phänomenale Kenntnisse angeeignet, wozu ihn sein außergewöhnliches Gedächtnis befähigt Die besondere Begabung, dieser Genie-As­pekt des Helden erscheint zuerst als herbeige­holter, künstlicher und schwacher Aspekt im Aufbau der Figur und der Geschichte. Aber merkwürdigerweise raubt er dem Film insge­samt nicht die Überzeugungskraft. Vielleicht deshalb, weil das Geniemotiv nicht weiter aus­ gewalzt wird. Es wird nicht storytragend. Die Karriere eines außergewöhnlich Begabten ist nicht das Thema des Films. Das Geniemotiv bleibt der Entwicklungslinie des Erwachsenwerdens, des menschlichen Erwachens des jun­gen Will untergeordnet. Und in dieser Perspektive liest es sich als psychologische Metapher für die mitgeschleppten, immer noch wirksa­men Allmachtsphantasien der Pubertät. Wills phänomenale Gedächtnisleistungen werden zum Abbild jenes abstrakten Könners und ange­lesenen Wissen, das beiseitegeräumt werden muß, um wirklichen existentiellen Erfahrungen Platz zu machen.

Professor Lambeau aber ist erst mal begei­stert von seinem Genie und möchte ihm auch eine Genie-Karriere ermögliche. Will ist wieder einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und kommt nur unter zwei Bedingungen auf Bewäh­rung frei: er muß einmal in der Woche zu einer Mathematik-Sitzung bei Professor Lambeau erscheinen und muß eine Therapie beginnen.

Eine Reihe von Psychologen versuchen in Wills Innenleben einzudringen. Mit den ver­schiedensten Methoden . Sie legen ihn auf die freudsche Couch oder versetzen ihn in Hypnose. Aber Will sträubt sich. Er läßt keinen an sich heran und dreht das Therapie-Spiel herum, indem er gnadenlos die Schwachstellen der Therapeuten bloßlegt. Zuletzt geht Lambeau zu seinem alten Klassenkameraden Sean McGui­re (Robin Williams) , der an einem College unterrichtet und Therapeut ist. Hier beginnt das spannendste Kapitel und eigentliche Drama des Films.

Eine Art Zweikampf entspinnt sich zwischen Will und Sean.Beide sind dickschädelig, schroff. Aber Sean spricht eine Sprache, die Will versteht. Er gibt Dinge aus seinem Leben preis, offenbart sich immer auch ein Stück weit selbst, verhält sich zunehmend eher als väterlicher Freund, denn als Therapeut - so daß Will nach vielem Hin und Her Vertrauen gewinnt. Beide tauchen in ihre Lebensgeschichten ein, geben ihre Verwundungen zu erkennen. Will, das Wai­senkind, das vom Stiefvater mißhandelt wurde. Sean, der Witwer, dessen Frau an Krebs starb. Die Wort-Duelle zwischen Will und Sean sind die stärksten Szenen des Films. Nur zum Schluß hin werden die gegenseitigen Offenba­rungen der beiden etwas schematisch. Weil die beiden Charaktere bis dahin so überzeugend, immer auch in neuen, überraschenden Wen­dungen erschienen sind, hat man an dieser Stel­le Angst, sie würden in eine schematische Sen­timentalität abrutschen.

Davor aber bewahrt sie vor allem Robin Wil­liams' Darstellungskunst. Williams ist hier nicht in seiner wohlbekannten speedig-komödi­antischen Aufgekratztheit zu sehen. Er setzt sei­ ne Mittel zurückhaltend, sparsam ein, und zeigt sich so in einer seiner besten dramatischen Rol­len. Ein kleiner, schneller, hastiger Blick zur Sei­te, ein Zeigefinger, der nur andeutungsweise aufgestellt wird, ein verhuschtes Lächeln , das in einer schmerzlichen Grimasse erstarrt - in sol­chen Gesten vermag Robin Williams das Dra­ma der verwundeten Seelen spürbar zu ma­chen.

Ähnlich überzeugend wie Williams ist Min­nie Driver als Medizinstudentin Skylar. Sie lehrt Will die Grundrechnungsarten der Liebe. In einer Kneipe bei der Uni begegnen sie sich. Sie ergreift die Initiative. Sie kann dreckige Wit­ze erzählen und zugleich Wills angstgesteuerte Fluchtbewegungen überzeugender analysieren als die Psychiater. Sie ist die stärkste Figur des Films.

Gus Van Sant verblüfft, überzeugt durch In­tensität, die er seinen Darstellern abgewinnt. Er zeigt Charaktere hautnah, ungeschminkt und lebendig, wie es Mainstream-Hollywood nie wa­gen würde. Er macht feinste Stimmungsschwan­kungen spürbar, und so gibt es Momente im Film, in denen die Inszenierung so direkt, scharf, klug und aufmerksam ist, wie man das im europäischen Kino etwa beim frühen Wenders oder bei Eustache finden konnte.

Erstaunlich auch dies: wir haben heute ein Bild von Jugendlichkeit, das ganz und gar von Mode geprägt ist. Der Film schafft es, davon keine Notiz zu nehmen.

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