Lob der Heftigkeit

Auf die Geistesgegenwart seines Körperspiels war stets Verlass. „Ein gewöhnlicher japanischer Schauspieler brauchte zehn Fuß Filmstreifen, um einen Ausdruck zu vermitteln“, schrieb Akira Kuroswa in seiner Autobiographie, „Toshiro Mifune brauchte nur drei.“ Im Japanischen Kulturinstitut in Köln kann man sich derzeit davon überzeugen.

Eigentlich sollte die Filmreihe bereits im letzten Jahr, aus Anlass seines 100. Geburtstags, laufen. Aber Kinolegenden sind an kein Datum gebunden. Nun ist sie bis Ende Juli zu sehen (https://www.jki.de/veranstaltungen/filme/Die%20Schauspiellegende%20MIFUNE%20Toshir%C3%B4). Sie konzentriert sich weitgehend auf seine Zusammenarbeit mit Kurosawa. Ergänzt wird sie durch Mifunes Leinwanddebüt „Snow Trail“ (1947 unter der Regie von Senkichi Taniguchi) sowie Kihachi Okamotos aufwändige Prestigeproduktion „The Emperor and The General“ (1967), eine spannende Chronik der letzten Stunden vor der Kapitulation. Sie verästelt diverse Handlungsstränge und nutzt dabei geschickt Breite und Tiefe des Cinemascope-Formats. Die rissige Montage, der Wechsel der Perspektiven verleihen den Bewegungen des Schauspielers eine besondere Dynamik, bei der knappe, isolierte Nahaufnahmen – der Griff auf einen Schwertknauf, das Auftreten eines Fußes – enorme Wirkung erzielen.

Kurosawa führte Mifunes Charaktere gern in Rückenansicht ein, was eine brillante Strategie des Vorenthaltens war. Minutenlang folgt die Kamera zu Beginn von „Yojimbo, der Leibwächter“ dem Nacken und den Schultern des herrenlosen Samurai. Deren Anblick genügt bereits, um die Entschlossenheit seines Schritts und Wachsamkeit seiner Muskeln zu erahnen. Hier geht ein Unbeugsamer wehrhaft seinem Schicksal entgegen. Ihre gemeinsam gezeichneten Figuren kehren sich ab von der Welt, sind nicht eins mit ihr. Gleichviel, was er für den Regisseur spielte – und die Charaktere waren höchst unterschiedlich: Maler, Ärzte, Gangster, Bauern, leitende Angestellte und natürlich Schwertkämpfer -, stets wirkt Mifune ruppig und mürrisch, als würde ihn der Umgang mit den Menschen verdrießen. Die Manierismen, die er dabei kultivierte (etwa das Kratzen des Bartes oder der unbehaarten Brust), unterstrichen seine tiefe Selbstbezogenheit. Jedoch waren diese widerspenstigen Charaktere berührbar: Sie rangen um Tugendhaftigkeit.

Mifune hat im Kino gleich mehrere Archetypen etabliert: den Yakuza, den Samurai und später den stoischen, erfahrenen Weltkriegsoffizier. Fast ein halbes Jahrhundert galt er weltweit als das Gesicht des japanischen Films (was durchaus ein Missverständnis war, den diesem wohnte ein prägend femininer Zug inne, für den Setsuko Hara, Hideo Takamine, Kinuyo Tanaka und andere bürgten). Sein Gesicht war grimmig, verfügte über einen durchdringenden Blick und strenge Augenbrauen. Anfangs mutete es entgegenkommen exotisch an; als Mifunes trinkfester Lebensstil später tiefe Ringe unter seine Augen zog, wirkte es vertraut.

Aber dieses Antlitz allein genügt nicht, um seine virile Leinwandautorität zu erklären. Sein Körperspiel erst macht ihn zu einem Kraftfeld, mit dem die anderen Darsteller um die Beherrschung des Bildraums streiten müssen. Er ist ein Streiter,der so fest auftritt, dass seine Feinde in Scharen zurückweichen. Seine überlegen Technik offenbart das Wesen des Kämpfers, das Ehrgefühl, den unduldsamen Stolz, schließlich die Genugtuung, einen ebenbürtigen Gegner gefunden zu haben. Als der jüngste, tollkühnste der „Sieben Samurai“ ist er eine Naturgewalt wie die Sintflut, die auf die letzte Schlacht herab prasselt. Mifune erhebt die Eleganz in seinen Samurai-Rollen zu einer moralischen Kategorie, die er zuweilen aber auch dank nachlässiger Manieren bricht: Keinem anderen Schauspieler seines Rangs sah man so oft dabei zu, wie er in der Nase bohrt.

Bei ihm verschmelzen Handlung und Ausdruck. Ein minderer Darsteller hätte seine Gesten noch mit einen Blick unterstrichen. Mifune hingegen ist der unangefochtene Meister körperlicher Ergriffenheit. Alles an ihm ist physischer Affekt. Auch die anderen Instrumente des Schauspielers darf man dem hinzurechnen: den mimischen Überschuss und die raue, tiefe, gutturale Stimme, die eruptiv aus ihm hervorbricht. Selbst sein Innehalten ist unbändig, er atmet schwer, der Aufruhr will nicht aus seinen Gliedern weichen. Noch die Erschöpfung ist bei ihm wuchtig: Man schaue nur einmal, mit welchem Zorn er sich in Kurosawas „Zwischen Himmel und Hölle“ die Haare wäscht! Der Thriller ist, neben „Yojimbo“, ihr Meisterwerk. Mifune verkörpert einen Schuhfabrikanten, der erpresst wird. Jedoch wurde nicht sein Sohn, sondern der seines Chauffeurs entführt. Lange zögert er, ob er dennoch das Lösegeld zahlen soll. Ein mächtiger Mann wie er darf sich nicht demütigen lassen. Die Zahlung würde seinen Ruin bedeuten. Er droht, an diesem Dilemma zu zerbrechen. Plötzlich hat er genug, steht er mitten in der Beratung mit der Polizei auf, ergreift brüsk seinen Sohn und trägt ihn in wütender Fürsorge aus dem Zimmer: Mifunes Körper hat längst begriffen, welche Entscheidung seine Figur am Ende treffen wird.

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