Militärische Ehren

Heute vor 80 Jahren starb Hans Wilhelm Langsdorff. Der Marineoffizier und Familienvater setzte seinem Leben im Alter von 45 Jahren ein Ende, nachdem er eine außerordentliche Entscheidung getroffen hatte. Sie rettete 1039 Menschenleben, vermutlich sogar noch viel mehr. Möglicherweise hätte ich nie von ihm gehört, wenn es nicht einen Film über ihn gäbe.

Sieben Tage zuvor hatte der Kommandant des Panzerschiffes Graf Spee sich hervorragend geschlagen im ersten großen Seegefecht des Zweiten Weltkriegs. Zwei der drei britischen Kreuzer, die ihn verfolgten und vor dem Rio de la Plata stellten, hatte er beträchtlichen Schaden zugefügt. Danach steuerte Langsdorff sein ebenfalls stark beschädigtes Schiff in den Hafen von Montevideo. Die Situation, vor der nun die Diplomaten der kriegsführenden Länder sowie des neutralen Uruguay standen, war präzedenzlos. Langsdorff ging auf den Befehl des Oberkommandos der Marine, nach Buenos Aires durchzubrechen, nicht ein, oder nur zum Schein. Stattdessen befahl er der Besatzung, von Bord zu gehen und ließ das Schiff am 17. Dezember außerhalb des Hafens versenken. So gerieten weder die verbliebene Munition noch der moderne Radar in die Hände des Kriegsgegners und er bewahrte seine Mannschaft vor der Kriegsgefangenschaft. Viele ihrer Nachfahren leben noch heute in Südamerika und gedenken seiner.

Unter Marinehistorikern ist nach wie vor umstritten, wie das Handeln des Kapitäns zur See zu bewerten ist. Man könnte es als Hochverrat betrachten; Hitler bekam einen Tobsuchtsanfall, als ihn die Nachricht in der Reichskanzlei erreichte. Langsdorffs Witwe wurde die Rente gekürzt. Seine Nachfahren, von denen jetzt noch eine Tochter lebt, haben diverse Anfragen an das Verteidigungsministerium gerichtet, seinen Namen zu rehabilitieren. Jahrzehntelang waren genug Kasernen nach Offizieren benannt, die während der Nazizeit eine weit zwiespältigere Rolle spielten. Und verkörperte Langsdorff nicht exakt jene Tugenden, welche die aktuelle Verteidigungsministerin unlängst als erforderlich für den soldatischen Dienst bezeichnete, Gewissen und Haltung statt Kadavergehorsam?

Im Netz sind Bilder der Mauser zu finden, mit der Langsdorff sich erschoss. Aber bislang scheint noch strittig, ob die Flagge, auf die der Sterbende herabsank, die traditionelle der Reichsmarine war, oder ob sie ein Hakenkreuz zierte. Das sind aus der Sicht von Historikern keine unwichtigen Nuancen. Über Langsdorffs Nähe oder Distanz zum Regime ist sicher Aufschlussreiches aus der ersten Biographie zu erfahren, die Hans-Jürgen Kaack gerade veröffentlichte. Die kenne ich noch nicht, aber dafür gibt mir das Kino hinreichend Handhabe, über das Ehrgefühl dieses Offiziers zu spekulieren, dem 1000 lebende Seeleute lieber waren als 1000 tote Helden. Wohlgemerkt ist es kein deutscher, sondern ein britischer Film, der mich zuerst auf ihn aufmerksam werden ließ. Es handelt sich um „The Battle of the River Plate“ (Panzerschiff Graf Spee) von 1956, der mithin mitten in einem Jahrzehnt entstand, als der Kriegsfilm zu den erfolgreichsten Genres zählte, nicht nur im Vereinigten Königreich, auch in den USA, Japan und der BRD. Hier zu lande mochte man dem Publikum freilich keine Helden zumuten, die demonstrierten, dass deutsche Soldaten auch anders handeln konnten.

Der Film stammt, das muss nicht so sehr überraschen, von Michael Powell und Emeric Pressburger. Sie interessierten sich notorisch für charismatische, gar sympathische Charaktere, die sich auf der gegnerischen Seite befanden: Conrad Veidt in „Der Spion in Schwarz“ (1939) und vor allem Adolf Wohlbrück, der 1943 in „Leben und Sterben des Colonel Blimp“ ebenfalls einen Namen mit noblem, doppeltem f trägt, Theodor von Kretschmar-Schuldorff. Diesmal vertrauten sie die Rolle einem britischen Schauspieler an: Peter Finch spielt den Kommandanten der Graf Spee, und er tut es furios. „The Battle of the River Plate“ war der letzte Film, den das Gespann unter ihrem Firmennamen „The Archers“ und mit dem triumphalen Credit „Written, produced and directed by Michael Powell and Emeric Pressburger“ herausbrachten. Die Premiere feierte er am 24. Dezember 1956 als „Royal Command Performance“, also in Anwesenheit von tragenden Mitgliedern der Königsfamilie. Wenn man Powells Memoiren glauben darf, war es der größte kommerzielle Erfolg, den sie in Zusammenarbeit mit der Rank Organisation hatten.

Das nimmt nicht wunder, denn es ist ein immens patriotischer Film, mithin Balsam für britische Gemüter wenige Monate nach der Suez-Krise. Brian Easdales Musik gerät in einen Tumult der Empörung, als auf der Graf Spee die Naziflagge gehisst wird, und sie jubiliert voller Genugtuung, als deren britische Jäger in Sicht kommen. Der Film ist nicht erfreut über die Verluste, die das Kaperschiff der eigenen Handels- und Kriegsmarine im Südatlantik beibringt. Aber sein Tonfall ändert sich, als der Kapitän des jüngst aufgebrachten Schiffs (Bernard Lee, der zwischen „Der Dritte Mann“ und der Bond-Saga in jedem zweiten Kriegs- oder Spionagefilm auftrat) und seine Crew an Bord des Panzerschiffes mit gebotener seemännischen Höflichkeit aufgenommen werden. Langsdorff begrüßt Kapitän Dove (der als Berater am Film witwirkte) mit beinahe tänzelnder Selbstgewissheit, gar nicht mal kokett, sondern an das Ballett der Schiffsbewegungen auf See anknüpfend. Er bietet ihm seinen besten Scotch sowie eine seiner imposanten Zigarren an, demonstriert ihm stolz seine Strategie und Tarnungsmanöver und scheint sich um den étwaigen Verrat von Kriegsgeheimnissen nicht zu scheren. Seeleute unter sich. Die Mannschaft wird nicht schlechter behandelt. Abgesehen von einem geflissentlichen Hitlergruß ist die Graf Spee wenig nazifiziert. Man gibt sich gar alle Mühe, die Neuzugänge mit Kostümen und Getränken in Festtagsstimmung zu versetzen: „We' ll take you home for Christmas.“

Es ist eine ungeheuerliche Augenhöhe, die Powell& Pressburger hier herstellen und feiern. Als ich den Film jetzt wiedersah, war ich jedoch erstaunt, wie wenig Szenen der ungemein gewinnende Finch tatsächlich hat. Sobald die Schlacht vor der Küste Uruguays beginnt, nimmt der Film strikt die britische Perspektive ein, inklusive der Kriegsgefangenen an Bord des Panzerschiffes. Strategie, Logistik und das Abwägen von Überlegenheit wird ganz aus der Warte der britische Offiziere und Mannschaften gefilmt. Entsprechend dieser erstaunlichen Exklusivität ist das gegnerische Schiff während der Schlacht nicht einmal zu sehen. Ein abstrakter Krieg sozusagen, damit man sich später als Offiziere und Gentlemen standesgemäß wieder begegnen kann. Auch hierbei ist die Mannschaft unter Deck in ihr Recht gesetzt.

Während die Schlachtszenen fast monochrom gefilmt sind, explodieren in Montevideo unversehens die Farben: Neonlichter, Tänze, Nachtclubs, eine Öffentlichkeit, die am Hafenkai (und weltweit: ein Medienereignis) brennendes Interesse nimmt am Fortgang dieser geopolitischen Krise. Die Methode der gedämpften Grundierung des Lebhaften ist ein alter Trick von Powell&Pressburger; ich hatte fast vergessen, dass er auch diesmal so gut funktioniert. Als Langsdorff in Uruguay erneut auf den Plan tritt, hat er sich verändert. Peter Finch trägt keinen Bart mehr wie zu Anfang. Er hält seinen rechten Arm angewinkelt, der ist aber nicht verletzt, sondern die Hand ruht napoleonisch auf seinem Herzen. Er ist dem Film zwischenzeitlich fremd geworden; einer seiner Dialoge wird als Pantomime gefilmt. Danach begegnen wir ihm erst wieder, als er das Sinken der brennenden Graf Spee betrachtet. Seine Entscheidung ist eine szenische Leerstelle, ein militärisches Rätsel, eine persönliche Unergründlichkeit, die der Film respektiert. Langsdorffs Freitod zeigen die Archers nicht.

Die Ritterlichkeit, auf die sie im Krieg immer noch hofften, mag uns heute zweifelhaft erscheinen. Ihre Abwesenheit wäre schlimmer. Die Haltung der Filmemacher ist nicht naiv, sondern weitsichtig: Sie erkannte das Gemeinsame. Winston Churchill, der ihren „Colonel Blimp“ hasste, rühmte Langsdorff als einen hervorragenden Offizier. Die Kapitäne der von ihm versenkten Handelsschiffe gingen hinter seinem Sarg. Ihre Mannschaften folgten hinterdrein. In Kanada ist eine Straße nach ihm benannt. Unsere Verteidigungsministerin hat andere Sorgen.

 

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