Ein Herz so groß wie ein Haus

Edward G. Robinson musste in jungen Jahren einen Raum nur betreten, schrieb Raymond Chandler einmal, um ihn zu beherrschen. Ebenso wie Humphrey Bogart brauchte er keine Waffe, um gefährlich zu wirken. Chandler wusste bestimmt mehr als jeder andere Schriftsteller, was in Hollywood einen tough guy auszeichnete. Man fragt sich nur, weshalb er diesen Eindruck auf die Anfangsjahre des Schauspielers beschränkte.

Immerhin hat er, zusammen mit Billy Wilder, Robinsons beste Rolle im mittleren Alter geschrieben: die des unbeirrbaren Spürhundes Barton Keyes in »Double Indemnity« (Frau ohne Gewissen), der jeden noch so cleveren Versicherungsbetrug durchschaut. Robinson entwickelt einen immensen Elan in dieser Rolle, er ist ergriffen von einem enthusiastischen, geradezu vergnügten Argwohn. Am Ende muss er seinem besten Freund Walter Neff (Fred MacMurray) auf die Schliche kommen: "You're not smarter, Walter, just a little taller."

Das Filmpodium Zürich erinnert gerade mit einer Retrospektive an den Schauspieler, der zu den beständigsten Stars Hollywoods gehörte. Das ist eine vorzügliche, augenblicklich einleuchtende, aber heutzutage nicht unbedingt naheliegende Idee. Für aktuelle Sehgewohnheiten stellt sein Starruhm einen ziemlichen Kulturschock dar: Dieser kleine Kerl war für einige Jahrzehnte tatsächlich Inbegriff einer bestimmten Art von Männlichkeit. Seine Laufbahn beglaubigt, was Richard Schickel in seinem Buch über Warner Bros. schreibt: dass mit dem Tonfilm schlagartig Normalsterbliche zu Stars werden konnten. Die Leinwandidole mussten nicht mehr entrückt wirken, vom Licht verherrlicht werden wie im stummen Kino, sie durften aus der Mitte der Gesellschaft stammen. Für Warner Brothers galt das ganz besonders, deren Gangsterfilme wurden bevölkert von Helden mit gedrungener Statur, zumal dem Energiebündel James Cagney.

Aber Robinson war nicht einmal kompakt, mit seinen schmalen Schultern wirkte er wirklich schmächtig. Die Filmtitel akzentuierten das, »Little Caesar«, »The little Giant« und andere mehr. Die innere Stimme, auf die Barton Keyes hört, nennt er "my little man". Sie ist untrüglich. Aber sein Gegenspieler Walter kennt ihn noch besser: "a heart as big as a house" bescheinigt er dem Skeptiker, der ihn überführt, und formuliert damit die schönste Liebeserklärung zwischen Männern diesseits von Howard Hawks.

Robinsons Stimme war schneidend, aber sie hätte tiefer sein können. Und er konnte zwar mit seinen kurzen Armen ungemein energisch herumfuchteln, jeden Fingerzeig in ein Kommando verwandeln. Aber seine Leinwandautorität war im Wesentlichen eine Frage des Mienenspiels. Sein durchdringender Blick kündete von Tatkraft und Entschlossenheit. Gier und Geistesgegenwart konnten in seinen Augen aufblitzen. Wirklich aufblicken musste er zu niemandem, nicht einmal zu Steve McQueen und Charlton Heston. Um seine breiten Mundwinkel spielte ein genüsslicher Zug von Verachtung für Gegner und Untergebene. Selbst neben dem kräftigen John Garfield war er ein glaubwürdig furchterregender Seewolf.

Seine Triumphe als Gangster waren in einem tiefen Misstrauen gegenüber der menschlichen Natur verankert. Im Gegenzug lagen ihm aber auch die Treuherzigen und Verletzbaren. Seine Charaktere hegten nicht nur Träume von Macht und Reichtum, ihre Freundschaft konnte verraten und ihre Sehnsucht enttäuscht werden. In Hawks' »Tiger Shark« gelang ihm die wunderbare Studie einer Virilität, die sich ihrer selbst nicht gewiss ist. In »Die Frau im Fenster« ist er einer der großen Anfechtbaren des Film noir, ein gesetzter Herr, der mit der behaglichen Verlässlichkeit seiner akademischen Existenz hadert und gewiss auch mit seinem Eheleben - obwohl er sich beim Abschied von Frau und Kindern als unverhoffter, wohl nicht nur pflichtschuldiger Romantiker erweist. "Every minute of the day" erwidert er auf ihre Frage, ob er sie vermissen wird, "and every second of the night". Im nächsten Film steckte ihn Fritz Lang sogar in eine Küchenschürze.

Der in Bukarest geborene Schauspieler war disponiert für ethnisch konnotierte Figuren, hoffnungsfrohe Einwanderer und bescheidene Glückssucher. Seine Rollen arbeiteten an einer anderen Folklore Amerikas, wozu auch gehörte, dass er ein engagierte Linker war, ein patriotischer Antifaschist, was ihn später auf die Schwarze Liste brachte und nach einem Einlenken auf die Graue. Zeitweilig bekam er nur noch Rollen in B-Pictures, es sind gute darunter, aber die Fünfziger wurden für ihn eine Zeit der Krisen, der ideologischen, moralischen und auch romantischen. Ende des Jahrzehnts erlebte er ein schönes Comeback. Seine Züge verweigerten sich wacker der Trägheit; nun bereicherte eine andere, wehmütigere Gravität seine Darstellungen.

Die kriminelle Energie seiner Charaktere versiegte nicht mit den Jahren. Ab Beginn der 1960er wurde er gern als raffinierter Drahtzieher besetzt, als das listige und eitle Hirn ausgeklügelter big capers (erstaunlich oft in europäischen, zumeist italienischen Filmen, wo er der Ehrentitel "Professor" noch einen ganz anderen Klang hat). Diese Raubzüge gelangen nicht zuletzt, weil er als älterer Herr ungemein kreditwürdig ausschaute. Ihm war eine beträchtliche Eleganz zugewachsen. Einer von seiner Statur trug keine Anzüge von der Stange. Zeit seiner Karriere war er nicht nur ein vollendeter Zigarrenraucher, sondern avancierte mit dem Alter auch zu einem begnadeten Bartträger. Man traute ihm einen weiten Bildungshorizont zu; er war einer der klügsten Kunstsammler Hollywoods.

Auch mit fast 70 Jahren hörte er nicht auf, den Ton anzugeben. In »Zwei Wochen in einer anderen Stadt« spielt er einen alternden Regisseur, der während der Dreharbeiten in Rom erkrankt und die Stafette an seinen einstigen Protégé übergeben muss, den Kirk Douglas als einen Helden des Rückzugs spielt, der sich rehabilitieren will. Robinsons Virilität gewinnt einen verzweifelten, zornigen Zug. Der Regisseur ist sich seiner Kräfte nicht mehr sicher, kann aber den talentlosen Beau, den ihm die Produktion vorgesetzht hat, noch wirkungsvoll als Waschlappen abkanzeln. Noch nimmt er die Witterung der jungen Starlets auf, begibt sich aber resigniert (und nicht ganz unglücklich) in den Gewahrsam seines „gesetzlich angetrauten Albtraums“ (Claire Trevor, die schon als Gangsterbraut in »Key Largo« mächtig unter ihm zu leiden hat: in solch ausdauernden Karrieren begegnet man sich immer zweimal). Joan Blondell hingegen, auch sie eine Wiedergängerin aus alten Warner-Bros.-Tagen, begegnete er in »Cincinnati Kid« mit weit größerem professionellem Respekt. Aber da hatte Edward G. Robinson längst schon jenen Stand der Gnade erreicht, in dem seine Charaktere und er nichts mehr zu beweisen hatten.

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