Der Teflon-Mann

Hollywood spielt auf hohes Risiko, wenn es die Wünsche der Fans ignoriert. Das wurde an diesem Wochenende wieder einmal deutlich, als Disney dem öffentlichen Druck nachgab und James Gunn wieder als Regisseur von »Guardians of the Galaxy Vol.3« engagierte. Einige Monate zuvor hatte das Studio ihn wegen zweifelhafter Tweets gefeuert; dank einer Petition mit mehr als 400000 Unterschriften ist er re-installiert, wenn nicht gar rehabilitiert. Dafür wurde in diesen Tagen ein anderer Regiestuhl frei.

Millenium Films nimmt nun doch Abstand von ihrer Idee, Bryan Singer die Regie eines Reboots von »Red Sonja« anzuvertrauen. Produzent Avi Lerner musste feststellen, dass er keinen US-Verleih findet, solange das Projekt mit dessen Namen verbunden ist. Bis vor wenigen Monaten war Singers Status als Starregisseur noch rätselhaft unangefochten. Obwohl er wegen seines erratischen, am Ende untragbaren Gebarens während der Dreharbeiten zu »Bohemian Rhapsody« von der Fox gefeuert wurde, soll er dem Vernehmen nach rund 40 Millionen Dollar an dem Film verdienen, wenn sämtliche Bonuszahlungen und Gewinnbeteiligungen abgegolten sind. Die einzige Repressalie scheint der Entzug seines Credits als Produzent gewesen zu sein. Die Studioleitung wusste wohl schon im Vorfeld ziemlich genau, worauf sie sich einließ. Stacey Snider soll ihm zwei Dinge eingeschärft haben, als sie ihm 2016 die Regie des Queen-Biopics übertrug: "Show up every day und don't break the law!"

Nach allen Regeln der Skandalisierung müsste sich Hollywood eigentlich längst von Singer losgesagt und reingewaschen haben. Sein Fall folgt jedoch einer anderen Dramaturgie. Seine öffentliche Ächtung vollzieht sich, anders als bei Weinstein und Kevin Spacey, nicht augenblicklich, sondern allenfalls in Etappen - und bis zum letzten Wochenende ohne tiefgreifende Konsequenzen. Selbst nach der Veröffentlichung des wahrscheinlich doch folgenreichen Enthüllungsartikels, der einige Wochen nach dem Start von »Bohemian Rhapsody« in "The Atlantic" erschien, hielt Lerner noch mit einer in diesem Geschäft seltenen Nibelungentreue an ihm fest. Er wollte Singer weiterhin die sagenhafte Gage von zehn Millionen zahlen, was im Licht der Anschuldigungen wie ein Indiz gemeinschaftlichen Hochmuts wirkte. Der Titel des Artikels, "Nobody is goingt to believe you", unterstrich, wie unantastbar der Filmemacher sich seinerzeit wähnte.

Die Journalisten Alex French und Maximillian Potter zeichnen darin das Porträt eines zerrissenen Mannes, der sich notorisch mit verletzbaren männlichen Teenagern umgibt. Ihr Artikel beruht wesentlich auf den Berichten von vier Männern, die angeben, von ihm sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein. Es ist eine furchtbare Chronik fortgesetzten Machtmissbrauchs. Die Erzählungen der mutmaßlichen Opfer könnten plausible Fiktionen sein. Bislang hat kein Gericht über ihren Wahrheitsgehalt entschieden. Allerdings geht durch all ihre Biographien ein verheerender Riss: Ihre Leben wurden aus der Bahn geworfen nach der Begegnung mit Singer und seinem Umfeld. French und Potter skizzieren ein System des Machtmissbrauchs, das auf Einschüchterung und einem Netzwerk von Mittelsmännern beruht, die dem Regisseur regelmäßig Jungen zuführen. Freunde und Vertraute Singers versichern, dass er stets überprüfen lasse, ob sie volljährig sind. Der Zeuge einer ausschweifende Orgie wird in "The Atlantic" mit den Worten zitiert: "Wo sind bloß deren Eltern?" Singer und seine Anwälte bestreiten kategorisch die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Der Regisseur tat den Artikel bislang als "homophobe Verleumdung" ab.

Ähnliche Vorwürfe begleiten seine Karriere seit mehr als 20 Jahren. Bereits während der Dreharbeiten zu »Der Musterschüler« erstatteten 1997 die Eltern eines 14jährigen Darstellers Anzeige, weil Singer ihn und weitere Minderjährige genötigt haben soll, in einer Szene nackt aufzutreten. Ein Dreizehnjähriger beschuldigte den Regisseur, ihn auf dem Set sexuell belästigt zu haben. Beide Anzeigen wurden durch außergerichtliche Einigungen abgewehrt. Aber die Vorwürfe verschwanden nicht klanglos. Die Gerüchte um einen Pädophilen-Ring in Hollywood, in dessen Zentrum Singer stehen soll, verdichteten sich 2014 massiv. Seine Anwälte schmetterten mehrere Klagen ab, in dem sie Ungereimtheiten in den Aussagen der mutmaßlichen Opfer aufdeckten. Als im Herbst 2017 der Weinstein-Skandal losbrach, stand für viele Hollywood-Insider außer Frage, dass Singer als nächster in den Fokus der Öffentlichkeit geraten würde. Aber noch immer schien es, als könne nichts an ihm haften bleiben.

20 Jahre müssten nach landläufiger Logik eigentlich lang genug sein, damit sich Gerüchte und Vorwürfe in eine gefühlte Wahrheit verwandeln. Konnte Singer seine Position im Filmgeschäft vielleicht verteidigen, weil er mächtige Freunde hat - oder über ein Geheimwissen verfügt, das mächtige Player fürchten müssten? Ob ihn der schützte, ist fraglich. Der war zuweilen enorm (im Falle des X-Men-Franchise), oft unbeständig (»Superman returns«, »Operation Walküre«) und hatte im arbeitsteiligen Filmgeschäft stets mehrere Väter (womöglich ist ja doch Christopher McQuarrie die treibende künstlerische Kraft hinter "Die üblichen Verdächtigen").

Der weltfremde Idealist in mir will fast noch daran glauben, dass Singer deshalb lange nicht verbrannt war, weil er unbestreitbare Verdienste als Wegbereiter eines schwulen Mainstreams hat. Er trug diese Sensibilität nicht etwa in das Ghetto des Arthouse-, sondern geradewegs ins Blockbusterkino. Mit der „X-Men“-Saga setzte er wichtige Akzente. Das Mutanten-Franchise ist lesbar als Allegorie auf die Ermächtigung von Minderheiten. Wie mir Ian McKellen einmal bei einem Interview für "epd Film" erklärte, rekrutierte sich bereits die Leserschaft der Comic-Vorlagen hauptsächlich aus jungen Schwarzen, Latinos, Juden und Schwulen. Singers Verfilmungen spiegeln verschlüsselt wider, wie man sich in einer Gesellschaft fühlt, die Homosexuelle marginalisiert. Sie sind flammende Plädoyers für das Anderssein. In ihnen durften sich junge Zuschauer wiedererkennen, die auf der Leinwand erfahren konnten, dass sie sich nicht mehr als Angehörige einer Subkultur isoliert fühlen müssen, sondern stolz sein dürfen. Aber das utopische Potenzial von Bryan Singers Filmen ist verblasst. Darüber hat sich das Bild derjenigen gelegt, die möglicherweise Opfer seiner Ermächtigung geworden sind.

 

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